Mein Glueck
Gegenstandslosigkeit der École de Paris als definitive Ausdrucksform in so gut wie allen Köpfen verankert. Nur der immense Erfolg von Bernard Buffet brach in diese Phalanx ein. Er besaß wie kein zweiter die Gabe, der bourgeoise Modemaler seiner Zeit zu werden. Hier und da gab es erste Warnungen. Ein Zitat in der Zeitung Combat schien mir eine Wende anzukündigen: »Diesem Jahrhundert wird es besser gehen, wenn ein Manessier so viel wie eine Spiegelkommode wert sein wird und nicht mehr so viel wie eine Zehnzimmerwohnung mit vierzig Spiegelkommoden darin.«
Plötzlich brach all diese Euphorie jäh ab. Myriam Prévot stürzte sich 1977 eines Nachts aus dem Fenster der Galerie in den Hof. Ihr Mann, der Musiker Roland Douatte, soll sie nach Strich und Faden betrogen und ausgenommen haben. Sie finanzierte ihm sein Collegium Musicum und kam dafür auf, dass er als Dirigent mit seinem mittelmäßigen Orchester öffentlich auftreten oder auf Tournee gehen konnte. Und die Freunde mussten in der Salle Gaveau, die sie dafür angemietet hatte, stundenlang unter seiner massakrierten Barockmusik leiden.
In all den Jahren in Paris war ich Max Ernst nie begegnet. Es wäre ein Leichtes gewesen, ihn kennenzulernen. Aber ich wollte nicht, ja ich weigerte mich, ihn aufzusuchen oder mich ihm zu nähern. Schuld daran war Kahnweiler. Dieser ging dem Surrealismus aus dem Wege und versuchte dringend, mich von solchen Kontakten abzuhalten. Das gipfelte in dem unvergesslichen Gebot: »Hüte dich vor dem Surrealismus – und vor allem vor Max Ernst.« Ich gebe zu, dass ich diesen Ermahnungen genau folgte oder diese Ermahnungen verinnerlichte. Später wurde mir klar, dass es letztlich Kahnweilers Einfluss war, der seinen Freund Carl Einstein daran hinderte, in die erste Auflage des Bandes Die Kunst des XX . Jahrhunderts für die Propyläen Kunstgeschichte Abbildungen von Dada oder von surrealistischer Malerei aufzunehmen. Erst in der Neuauflage, die 1931 erschien, finden wir Bilder von Dalí und Max Ernst. Lange verstand ich diese feindselige Haltung und die Warnung, die für meinen blinden Fleck verantwortlich war, nicht. Ich wusste nur, dass sie sich mit der Unflexibilität vergleichen ließ, die Kahnweiler in all seinen Urteilen vertrat. So waren Kandinsky und Mondrian für ihn nichts anderes als Propagandisten einer Malerei, die sich mit ornamentalen Variationen zufriedengab. Hinter der Verachtung des Ornaments steckte immer noch das Verdikt, das Adolf Loos gegen die Zierseuche seiner Zeit ausgesprochen hatte. Auch für Kahnweiler war das Ornament ein Verbrechen, oder schlimmer noch, eine Dummheit. Nach und nach fand ich heraus, dass diese Verachtung auf seine hochbürgerliche Herkunft zurückzuführen war, auf die plüschigen Salons einer Familie, die, wie mir Kahnweiler erzählte, mit Bildern à la Defregger oder Grützner garniert waren. Dafür schämte er sich. Und er spürte wohl, dass Max Ernst ein unerhörter geistiger Verführer war, dem er selbst mit seinen engen Überzeugungen nichts entgegenzusetzen vermochte. »Der Zauberer der kaum spürbaren Verrückungen« verwirrte ihn, ja machte ihm offenbar Angst. Dies führte dazu, dass ich mich überhaupt nicht für den Surrealismus und »vor allem« nicht für Max Ernst interessieren konnte. Später litt ich sehr darunter, hatte ich doch wegen meines blinden Glaubens an die Autorität Kahnweilers viele Jahre der Freundschaft mit Max Ernst verloren. Ich bedauerte dies umso mehr, als für mich die Auseinandersetzung mit dem Geheimnisvollen, Unkalkulierbaren, das der Surrealismus immer verfochten hat, zu den entscheidenden, letztlich rationalen Begegnungen meines Lebens wurde. Ich erinnere mich an eine Ausstellung im Mai 1964 in der Galerie Charpentier, die dem Surrealismus galt, in der ich auch Patrick Waldberg begegnete. Hier sah ich erstmals Max Ernst und andere Künstler aus dem Kreis des Surrealismus. Sie waren dabei, ihre Arbeiten zu installieren. Besser gesagt Patrick Waldberg, der als Kurator fungierte, stopfte die eher kleinen Räume mit über fünfhundert Gemälden, Skulpturen, Objekten, Zeichnungen, Manifesten und Pamphleten voll. Es kam im Umkreis dieser Manifestation zu einer exorbitanten Polemik. Breton wehrte sich mit Händen und Füßen gegen alle Versuche, den Surrealismus in einen historischen Zusammenhang zu stellen und seinen Geist und seine Verzerrungen von manieristischen Arbeiten abzuleiten. Er beschimpfte Waldberg als den »Totengräber des Surrealismus«,
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