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Mein Glueck

Mein Glueck

Titel: Mein Glueck Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Werner Spies
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eine Surrealismus-Ausstellung zusammengestellt hatte, auf welche Weise Max Ernst in Paris einer Wiederbegegnung entkommen konnte. Nach der Ankunft Max Ernsts in der Galerie hätten sich alle Fotografen auf ihn gestürzt. Doch plötzlich sei der Ruf erschallt: »Dalí ist da.« Und die Presse kümmerte sich sofort nur noch um Dalí. Max setzte alles daran, einem Zusammentreffen oder gar einem gemeinsamen Foto zu entgehen. Er verschwand im Büro, rollte sich dort in einen Teppich und ließ sich unbemerkt als textile Säule verkleidet heraustragen.
    Peter Schamoni lernte ich 1966 , sofort nach einer meiner ersten Begegnungen mit Max, kennen. Die enge Freundschaft, die uns seitdem verband, wurde eigentlich nur durch eine leichte, gespielte Eifersucht darüber getrübt, dass Peter Max Ernst schon einige Jahre vor mir kennenlernen durfte. Wie oft waren wir mit Max Ernst zusammen, in Paris, in Seillans, in Seeshaupt am Starnberger See, in München oder mit Willy Brandt, den das wiederholte Zusammentreffen mit dem Jahrhundertkünstler, der sein Glück nicht zu Hause finden durfte, zutiefst bewegte. Unsere Begegnung und unsere Freundschaft mit Max Ernst fiel in eine Zeit, da dieser unvergleichliche Künstler wieder deutlicher auf seine Herkunft aus Deutschland, aus dem Rheinland Bezug nahm. Selbstverständlich sprachen wir mit Max Ernst Deutsch. Er hatte den Reichtum seiner Sprache in all den Jahrzehnten, die er außerhalb seiner Heimat verbrachte, verbringen musste, auf genaueste Weise bewahrt. Bald entdeckten wir in dem, was Max Ernst vorlebte, in seinem Umgang mit zwei Sprachen und Kulturen, das Modell für eine deutsch-französische Verbindung, die Hass und Unverständnis zwischen den Nachbarn vergessen ließ. Das wenige, was die Öffentlichkeit über Max Ernst weiß und was sie sehen durfte, ist den wunderbaren Filmen von Peter Schamoni zu verdanken. Max Ernst war, wie er mir immer wieder bestätigte, selbst sehr berührt von der Art und Weise, wie Peter Schamoni auf ihn einging. Peter respektierte die Scheu des Künstlers, ja in gewisser Weise machte er diese und dessen Abscheu, das eigene Ich ins Spiel zu bringen, zum eigentlichen Sujet seiner Filme. Sie vermitteln, was Max Ernst gegen den Personenkult des Jahrhunderts ins Feld zu führen hatte. Mein Freund Peter hat beim letzten öffentlichen Auftreten in seiner Heimatstadt Münster noch einmal seine Passion für die Unerklärbarkeit Max Ernsts zeigen können. In einem Gespräch, das Felicitas von Lovenberg auf unübertreffliche Weise mit ihm und mir in Gang brachte, zeigte sich dies. Es gibt nur wenige Menschen, die, wie sie, Rose Maria Gropp, Andreas Platthaus, Henning Ritter, Niklas Maak oder Durs Grünbein, den Gesprächspartner nicht nur abzufragen vermögen, sondern ihm als einziges Mittel gegen die eigene Klugheit und forensische Genauigkeit eine Offenheit abverlangen, zu der der Befragte anfänglich überhaupt nicht bereit war. Alle diese Dialoge waren Stunden der Reinigung und des Glücks.
    Gegen das hypertrophe Ich, das überall vorherrschte, setzte Max Ernst den Bericht in der dritten Person. Am liebsten, das zeigen nicht zuletzt seine Texte, die sich dem eigenen Leben zuwenden, spricht Max Ernst von sich als von einem anderen. Das bewegendste Beispiel liefert der Kurzfilm »Maximiliana. Die widerrechtliche Ausübung der Astronomie«. Dieses Meisterwerk, das mit den höchsten Preisen ausgezeichnet wurde, entstand 1965. Der zwölf Minuten lange Film fasst auf magische Weise das Leben und das Werk Max Ernsts zusammen, indem er einen Stellvertreter, den sächsischen Hobbyforscher Ernst Wilhelm Leberecht Tempel (1821–1889), auftreten lässt. Alle Vorbehalte einer Gesellschaft gegenüber der Kunst, gegenüber einem Leben, das nicht den bürgerlichen Gesetzen folgt, werden in dem Blick, den Max Ernst auf den genialen Dilettanten Ernst Wilhelm Leberecht Tempel wirft, auf schmerzhafte Weise spürbar. Tempel, ein Mann ohne Diplom, durchzieht Europa auf der Suche nach einem Observatorium, von dem aus er in Ruhe seiner wissenschaftlichen Arbeit nachgehen kann. Zunächst arbeitet er in Venedig, entdeckt dort einen Sternhaufen, zieht von dort nach Marseille, wo er neun Jahre lang in großer Armut arbeitet. Der Ausbruch des Krieges 1870/71 zwingt ihn zur Flucht. Max Ernst selbst konnte Europa 1941 von Marseille aus verlassen. Der Privatastronom Tempel zieht nach Mailand und schließlich nach Florenz.
    Der Film beschreibt die Geschichte exemplarischer Dummheit und

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