Mein Glueck
Port Royal« in der Nähe seiner Wohnung in der Rue de Lille. Als Antwort auf seine amüsante Frage zum Fisch, der aufgetragen wurde, »Est-ce qu’il est de l’année?«, ließ der Ober beinahe die Glasplatte fallen. Überall reservierte er unter dem Namen »Max«. Niemand sollte davon wissen, dass er der berühmte Maler war. Manchmal war es sehr komisch, wenn wir an einem Tisch saßen, über dem eines seiner Ausstellungsplakate hing. Offensichtlich machte er sich aus Ehren und aus dem Umgang mit Offiziellen nichts. Eines seiner Worte, eine kleine Walderdbeere sei ihm lieber als alle Lorbeeren, hat sich mir eingeprägt. Er scherte sich auch nicht um staatliche Aufträge. Als damals Chagall den Plafond der Opéra Garnier und Masson das Deckengemälde für das Théâtre de l’Odéon entwarfen, schlug Malraux Max Ernst vor, doch auch eine solche Offerte zu akzeptieren. Max gab zur Antwort: »Ja, gerne, aber dann für mich bitte kein Plafond, sondern einen Fußboden.« Auch früher hatte es Missverständnisse und Missstimmungen zwischen den beiden Männern gegeben. Als sich Max Ernst während des spanischen Bürgerkriegs als Freiwilliger melden wollte, wies ihn Malraux ab, weil er den Surrealisten, die Malraux’ Einsatz eher als Lust nach neuen Abenteuern als nach wirklichem Engagement bewerteten, zutiefst misstraute. Ich sprach darüber mit Leonora Carrington, als ich sie in Mexico City besuchte. Von Max habe sie in Saint-Martin d’Ardèche viel über die gefährliche Entwicklung in Deutschland erfahren. Er sei über die Lage genau informiert gewesen, weil er mit den Flüchtlingen aus seiner Heimat verkehrte. Meret Oppenheim habe ihm entscheidende und präzise Informationen gegeben. In Paris war er regelmäßig mit einer Gruppe von Künstlern und Intellektuellen zusammen, die aus Deutschland geflohen waren. Leonora berichtete: »Dazu gehörte auch Hans Bellmer. Sie diskutierten darüber, was man machen könnte, um die Menschen über die Greuel der Nazis aufzuklären. Max war dabei sehr aktiv und voller Hass gegen Hitler. Er forderte die Künstler auf, alles zu unternehmen, um Menschen, die Widerstand leisteten, aus Deutschland herauszuholen.« Und sie setzte hinzu: »Durch Max erfuhr ich erst, was Antisemitismus war und was dieser anrichtete.« Und Leonora präzisierte, dass von dieser Zeit an Max sämtliche Beziehungen zum Land seiner Herkunft abgebrochen habe.
Malraux war über Max Ernsts Absage, am großartigen Dekorationsprogramm mitzuwirken, offensichtlich verstimmt, aber er hatte wohl nicht den versteckten Sinn der Antwort verstanden. Parkett bedeutete in den Augen Max Ernsts ein Hinweis auf das, was ihn immer schon herausgefordert hatte, die Verwendung von Texturen, die er in kunstfremdem Material, nicht zuletzt in den Brettern eines Fußbodens, entdeckt hatte. Ihm verdankte er die großartige Erfindung der Frottagetechnik. Bald schlug ich vor, über die Frottagen mein erstes Buch zu wagen. Ich wählte dafür den Zyklus der »Histoire Naturelle«. Er ermunterte mich dazu, ihm verdanke ich es, dass ich aus der Schule der Minderwertigkeit entlassen wurde, in die ich mich eingesperrt hatte. Denn neben den Genies, mit denen ich in Paris ständig verkehrte, kam ich mir wie ein Wurm vor. Die Heliogravüren nach Arbeiten aus dem Jahr 1925 gehörten für mich zur bewegendsten Entdeckung. Die monumentalen Blätter folgen dem Schöpfungsbericht. Sie illustrieren die Entstehung einer möglichen parallelen Welt. Ich hatte das Gefühl, dass in diesen Blättern jede Gewissheit zu schielen begann. Denn das ist das Auffällige dieser Blätter, sie oszillieren zwischen der Realität und dem Unwahrscheinlichen. Sie bringen den Blick um seine Sicherheit. Ein sinnlich taktiles Sehen, eine Art von stereophoner Wirkung, kommt dank dieser Frottagetechnik zustande. Es sind leichte Erschütterungen der Welt, die Max Ernst wie ein Seismograph registriert und in seiner Handschrift zum Ausdruck bringt. René Crevel hat für diesen Umgang mit Stift und Kreide ein anschauliches Wort gefunden. Er verglich das Vorgehen des Künstlers mit einem überaus sanften Erdbeben, »qui ne déplacerait que légèrement les meubles sans être pressé dans l’intention de mettre de l’ordre partout«, einem Erdbeben gleich also, »das die Möbel nur leicht, ohne Hast, verrückt, als würde es eine Ordnung herstellen«. Gerd Hatje aus Stuttgart, den ich Jahre zuvor als passionierten und genauen Verleger der Festschrift Kahnweiler kennengelernt hatte,
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