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Mein Glueck

Mein Glueck

Titel: Mein Glueck Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Werner Spies
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sehr bewusste Reflexion über die Mittel. Diese Präzision, beziehungsweise ihr Fehlen, wurde manchem surrealistischen Maler zum Verhängnis, denn je hemmungsloser sich die Kunst im Umkreis des Surrealismus dem Unbewussten und dem Unkontrollierbaren überlässt, umso stärker verlangt sie nach einer präzisen Technik, die das Unglaubliche durch Genauigkeit natürlich erscheinen lässt. Die Collage, die Frottage, die Grattage: Das waren alles völlig ungewohnte, genaue Verfahren, die Max Ernst entwickelt hatte. Er hatte dazu ein Arsenal von Hilfsmitteln entworfen, die er immer wieder verwenden konnte. Er zeigte mir die Schubladen mit Zinkklischees, die ihm für seine Kompositionen dienten. Ein Teil des Materials entstammte dem Atelier Chave, in dem Max Ernst seine Frottagen erstellte. Nach Zeichnungen und Frottagen waren diese Klischees entstanden, die er zersägte, neu zusammensetzte und immer wieder benutzte. Diese Wiederverwendung verlieh dem Werk eine erkennbare Kohärenz und sorgte dafür, dass der Betrachter ständig Motive entdeckte, die ihm aus anderem Zusammenhang bekannt waren. Es waren keine Wiederholungen, es war ein Spiel mit Permutation und Gedächtnis. Dazu kam die Überraschung, wie Max sagte: »Man malt, weil man neugierig ist, und nicht, weil man etwas machen will. Das ist eine höhere Instanz des Automatismus, die einen dazu zwingt. Dabei ist das Erstaunen über das, was zustande kommt, ebenso groß wie zu Beginn.« Doch der Ausdruck dieser Blätter war zugleich so persönlich, dass sie nicht als objektive Techniken gelten konnten, denn allein unter seiner Hand gewannen sie ihre unverwechselbare Identität. Diese Verfahren gehören allein Max Ernst, und sie sind es, die für das Maß an Authentizität sorgen, das sein Werk so unverwechselbar macht. Man sollte deshalb auch gar nicht von Techniken reden, sondern von Prozeduren, die mit der Identität Max Ernsts verschmelzen. Nach Max Ernst kann eigentlich kein anderer mehr guten Gewissens Collagen aus Holzstichillustrationen des neunzehnten Jahrhunderts machen oder die Narben eines Fußbodens oder die schrundige Textur von Rinden und Pflanzen direkt auf der Leinwand erscheinen lassen. Es waren Ateliergeheimnisse, die mir hier Max Ernst offenlegte – bald konnte ich miterleben, mit welchem Raffinement er diese einzusetzen vermochte. Ich war dabei, als er »La Chasse au Snark« von Lewis Carroll mit Lithographien illustrierte. Er schuf dafür eine farbige und eine schwarz-weiße Suite von Blättern. Danach lud er mich ein, mit ihm zusammen aus Lewis Carrolls The Game of Logic eine Auswahl von Texten und Zitaten zu treffen. Er publizierte das Buch mit vierunddreißig Lithographien, die alle auf Frottagen zurückgingen. Sie erschienen in der Manus-Presse in Stuttgart unter dem Titel Lewis Carrolls Wunderhorn .
    Dies alles zu sehen und mitzuerleben musste meine Einstellung gegenüber dem Künstler, vor dem mich Kahnweiler gewarnt hatte, auf radikale Weise ändern. Der eher selbstzufriedenen, zeremoniösen Attitüde Kahnweilers stand ein Mann gegenüber, der aus seiner eigenen Skepsis und Unzufriedenheit heraus nichts anderes suchte, als dieser im Werk Ausdruck zu verleihen. Michel Leiris stand aus diesem Grunde Max Ernst und dem Surrealismus nahe. Dafür sprachen frühe Bücher wie Aurora und die Niederschrift seiner Träume. Er selbst besaß in seinen Räumen in Saint-Hilaire eine herrliche frühe Dada-Arbeit von Max Ernst, die er später wie auch den Rest seiner Sammlung und der Sammlung Kahnweilers und seiner Frau Louise Leiris dem Centre Pompidou zum Geschenk machte. Und wir beschlossen schnell, uns ab und zu mit Max Ernst zum Mittagessen zu treffen. Das waren geheime Verabredungen, von denen Kahnweiler nichts wissen sollte. Hier trafen zwei aufeinander, die den Surrealismus, Breton, Tanguy, Masson oder Miró von Anfang an kannten und die dieselbe Passion für das Hermetische und das Verschwiegene teilten. Max Ernsts Erzählungen waren frei von Stolz. Wenn ich vor einer Arbeit vor Bewunderung schier platzte, meinte er – und das blieb das Höchste an Lob, das er sich zubilligte –: Ja, diese sei nicht ganz missraten. Das war kein Understatement, darin spiegelte sich die grundsätzliche Unruhe des Künstlers, der immer zweifelt, der ständig Neues ausprobiert und damit seine Umgebung überraschen oder desorientieren musste.
    Wir sahen uns nach meinem ersten Besuch in Seillans sehr schnell in Paris wieder. Er führte mich in das Restaurant im »Hôtel

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