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Mein Glueck

Mein Glueck

Titel: Mein Glueck Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Werner Spies
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inzwischen in der Rue Tourlaque am Montmartre ein Atelier leisten. Die zahlreichen kleinen Blätter, die wir für den Œuvre-Katalog zusammentragen konnten, waren zumeist Fingerübungen, die dazu dienten, auf zeitraubende Weise die großen Blätter vorzubereiten und ein Equilibrium zwischen den Strukturen zu finden. Denn hinter aller Spontaneität steckte, und das fand ich bei unseren langen Diskussionen heraus, eine Art von »more geometrico«, das sein Arbeiten lenkte. Bereits die Suite »Fiat Modes«, die sofort nach der Rückkehr aus dem Ersten Weltkrieg entstanden war, hielt dies programmatisch fest. Der Einfluss de Chiricos, die verwirrende Perspektive in den Blättern reagierten gegen Expressionismus und Ausdruckskunst der Zeit. Als Modell für einige Blätter diente eine selbstkonstruierte Gliederpuppe, der Max Ernst den Namen »Phallustrade« gegeben hatte. Max Ernst machte die Serie im Rahmen eines Beschäftigungsprogramms, das die Stadt Köln für mittellose Künstler organisierte. Verantwortlich dafür war damals der Stadtdirektor Konrad Adenauer. Als ihm Max Ernst die Auflage überbrachte, meinte dieser: »Junger Mann, das können Sie wieder mitnehmen.« Max fügte in der Unterhaltung hinzu: »Ich hätte mir das ja denken können. Denn ich ging damals zum selben Zahnarzt, und der hatte mich gewarnt: ›Passen Sie auf, dieser Adenauer ist ein böser Mann. Ich sehe dies an seinem Gebiss.‹« Die Suche nach einer nach mathematischen Regeln ausgeglichenen Bildanlage in »Fiat Modes« fand sicherlich in dem grandiosen »Vox Angelica« eine unübersehbare Bestätigung. Das Bild, in das Max Ernst im amerikanischen Exil, wie in eine Arche Noah, alle Erinnerungen, Techniken und Themen aufnimmt, die er retten möchte, wird von einer Bildarchitektur getragen, die einzigartig ist: Jeder Quadratzentimeter dieses Sintflut-Retabels findet seine Entsprechung in der Gesamtkomposition.
    Bald vertraute mir Max Ernst auch Privates an und erzählte, wie sehr er sich über folgende Begebenheit geärgert habe. Im Kölner Stadt-Anzeiger schrieb Georg Jappe zu seinem fünfundsiebzigsten Geburtstag einen Artikel, in dem der Journalist die Aussage einiger Kölner kolportierte, die Max Ernsts Charakter in Frage stellten. Unter ihnen kursierte der Vorwurf, Max Ernst hätte nichts getan, um seine Frau Luise, die Jüdin war, vor Auschwitz zu retten. Diese verlogene, heimtückische Unterstellung traf den Künstler zutiefst. Jimmy Ernst, der sich gleichermaßen schockiert und fassungslos zeigte, schrieb in einer Antwort an die Zeitung, dass sein Vater alles unternommen habe, um seine Mutter in Sicherheit zu bringen. So habe er ihr auch vorgeschlagen, sie, zwanzig Jahre nach ihrer Scheidung, erneut zu heiraten, um sie ins Exil in die USA mitnehmen zu können. Dies lehnte Luise Straus ab, und als es schließlich gelang, ihr ein Visum zu beschaffen, hätte, so Jimmy Ernst, die deutsche Kriegsmaschinerie zugeschlagen und das Visum sei zu einem wertlosen Stück Papier geworden. Als er in dieser Sache einen Brief an die Redaktion verfassen wollte, fragte mich Max Ernst um Rat. Die Verleumder wurden bloßgestellt, und die Zeitung brachte einen langen Widerruf, den die der üblen Nachrede überführten Beschuldigten gemeinsam unterzeichneten.
    Im Juni 1966 unternahmen Dorothea, Max und ich eine erste Reise zur Biennale nach Venedig. Der Sammler Paolo Marinotti, mit dessen Frau Gretel aus Pforzheim Max und Dorothea eng befreundet waren, hatte ihm eine Ausstellung im Palazzo Grassi eingerichtet, dessen Eigentümer er damals war. Sie zeigte unter Max Ernsts früh gefundenem Programmwort »Oltre la pittura« ausschließlich neue Arbeiten, darunter erstmals zahlreiche Reliefs, die die verschiedensten Materialien und Fundstücke verarbeiteten. Die Ausstellung hatte es nicht leicht. Zu ungewohnt waren die neuen Assemblagen neben den Gemälden. Manche riefen nur Spott hervor. Ich erinnere mich an einen späteren Besuch im Herbst, bei dem ich Kahnweiler in die Ausstellung begleitete. Wie immer, wenn ihm etwas nicht gefiel, sagte er nichts, sondern gab ein fast unhörbares Pfeifen von sich. Vor einem Werk, in das ein Thermometer eingebaut war, blieb er stehen, schaute nach der Temperatur und äußerte ein vernichtendes »Das ist aber praktisch«. Max Ernst erhob mit diesen in Frankreich eher ungewohnten Arbeiten seinen legitimen Anspruch als Miterfinder der Mixed media, die später zum Stilmerkmal der Pop-Künstler wurden, die ihm und Schwitters

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