Mein Glueck
wesentliche Anregungen verdankten. Es waren Reliefs, die sich im Werk weit zurückverfolgen ließen. Max Ernst hat mir die Geschichte dieser Arbeiten erzählt. Die ersten waren bereits 1919 entstanden und im Lichthof des Brauhauses Winter in Köln in einer von Max Ernst, Hans Arp und Johannes Theodor Baargeld organisierten Ausstellung gezeigt worden. Eines der berühmtesten, »Zwei Kinder werden von einer Nachtigall bedroht«, zieht bereits alle Register, zu denen Pop später greifen sollte. Das Gatter, das sich im Vordergrund öffnet – das der Betrachter im Geiste zur Seite geschoben hat, um ins Bild einzutreten –, symbolisiert den Einstieg in eine irrationale Welt, die auch die jüngsten Reliefs im Palazzo Grassi dominierte.
Bei dieser Gelegenheit lernte ich auch Eva und Hein Stünke aus Köln und Eduard Trier, den Kommissar des Deutschen Pavillons, kennen. Es waren Freunde, die im Leben von Max zählten. Wir besuchten zusammen verschiedene Pavillons in den Giardini, und ich war beeindruckt, mit welcher Offenheit sich Max Ernst für die Arbeit der Jungen interessierte. Als bekanntgegeben wurde, dass Julio le Parc aus der Galerie von Denise René der große Preis der Biennale zugesprochen wurde, war er glücklich, nicht zuletzt weil er Denise René überaus schätzte. Als wir an diesem Tag im »Café Florian« zusammensaßen, meinte er: »Denise verdient diese Auszeichnung.« Sie war es gewesen, die kurz nach Kriegsende mit Hilfe von Paul Éluard in ihrer Galerie in Paris eine erste umfangreiche Retrospektive seines Werkes organisiert hatte, zu der zahlreiche Leihgaben aus aller Welt angereist waren. Für diese Ausstellung hatte Vasarely den Katalog und das Plakat entworfen. Er ging von einem Waldbild aus und stilisierte es zu einem markanten Logo für Max Ernst. Bald erlebte ich, auf welche Weise Max Ernst unbekannte Künstler ermutigte. Er besuchte Ausstellungen und kaufte ab und zu eine Arbeit. Dies geschah auf überaus einfache Weise. Es gab da keine herablassenden Gesten oder Worte. Auch Werken, die überraschten oder schockierten, begegnete er mit höchstem Respekt. Mit Bescheidenheit und Noblesse gelang es ihm, andere nicht herabzusetzen oder zu verurteilen. Niemand widerlegte so vehement wie er die Maxime von Vauvenargues: »C’est un malheur que les hommes ne puissent d’ordinaire posséder aucun talent sans avoir quelque envie d’abaisser les autres.« – »Es ist ein Unglück, dass die Menschen in der Regel kein Talent besitzen können, ohne dass damit die Neigung einhergeht, andere zu erniedrigen.«
Das kurioseste und irgendwie auch tristeste Erlebnis fiel in die letzten Tage unseres Aufenthalts in Venedig. Ich hatte mit Max Ernst die Sammlung von Peggy Guggenheim besucht. In der Orangerie hingen Gemälde, die schutzlos der schwülwarmen Luft ausgesetzt waren. Ein großformatiges Bild von Max Ernst, »La Ville entière«, das eine Stadt im alles überwuchernden Urwald zeigt, war bereits in einem verheerenden Zustand. Ganze Partien waren von Schimmel befallen. Ich regte mich maßlos darüber auf. Max blieb dagegen völlig ruhig und antwortete überaus stoisch, so sei es halt, so werde es allem, auch uns in der Welt ergehen. Für Restaurierung gab Peggy offensichtlich keine Lira aus. An einem berühmten Bild Picassos, »Am Strand«, entdeckte man ein gewaltiges, nur notdürftig geflicktes Loch. Sie selbst soll es eigenhändig wie einen Strickstrumpf ausgebessert und gestopft haben.
Für den Abend folgten wir einer Einladung auf die Terrasse des Cipriani, die der Kunsthändler Alexandre Iolas ausgesprochen hatte. Auch Peggy Guggenheim sollte anwesend sein. Das war eine mutige Idee. Sie und Max hatten sich, seit er sie 1942 in New York verlassen hatte, um mit Dorothea Tanning in die Einsamkeit von Sedona (Arizona) zu fliehen, nicht mehr gesehen. Peggy Guggenheims Hass soll grenzenlos gewesen sein. Max Ernst erzählte mir, nach Pearl Harbor hätte sie ihn am liebsten als feindlichen Ausländer in ein Internierungslager expedieren lassen. Viele seiner Bilder waren bei ihr geblieben. Es hieß, dies solle heute so etwas wie ein Tag der Versöhnung werden. Peggy kam in einer weiten, ehemals wohl lichtgrünen Robe. Das erste, was dabei in die Augen stach, waren die zahlreichen Fettflecken, die auf der Seide so etwas wie ein durchgängiges Muster bildeten. Der Abend geriet zu allem anderen als zu einem freundschaftlichen Treffen.
Die Vergangenheit blieb bei den Gesprächen völlig ausgeblendet. Da
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