Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Mein Glueck

Mein Glueck

Titel: Mein Glueck Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Werner Spies
Vom Netzwerk:
dieser Zeit begleiteten die Medien noch nicht jeden Auftritt eines namhaften Künstlers, jede Ausstellung mit fast hysterischem Interesse. Dies galt auch für andere große Künstler, die ich in jenen Jahren kennenlernte, nicht zuletzt für Duchamp, der in seinem Heimatland Frankreich einfach übersehen wurde. Als Ende der sechziger Jahre das Pariser Musée d’Art Moderne ihm eine Retrospektive ausrichtete, interessierte dies kaum jemand. Und die Art und Weise, wie damals im Museum die Readymades präsentiert wurden, ließ am ehesten an die Zurschaustellung der Beute denken, die man bei einem Ladendieb entdeckt hatte. Man Ray tat alles, um von seinem fotografischen Werk abzulenken, ja es vergessen zu machen. Auf die Frage nach seinen Fotografien konnte er mit verbitterter Bissigkeit reagieren, was auch Henry Miller, der mit Max und Man Ray befreundet war, an dem in seinen Augen sonst so redelustigen Männchen regelmäßig feststellte. Zu mir sagte er, um jede Diskussion abzuschneiden: »Ich bin kein Fotograf.« Es war offensichtlich, dass er hier so etwas wie ein Modeleiden kultivierte. Er durchlief zwei Stadien dieser Krankheit. Einmal schrieb er: »Fotografie ist nicht Kunst« und ein andermal »Kunst ist nicht Fotografie«. Offensichtlich fand er auf sich bezogen diese Berufsbezeichnung pejorativ. In der Tat unterschlug die Bezeichnung Fotograf die unstillbare Lust, mit Licht zu experimentieren, die Man Ray in der Dunkelkammer packte. Er experimentierte mit Fotomaterial, als sei dieses autonom, und bediente sich dabei des Zufallsprinzips. Auf die Frage nach dem Fotopapier, das er verwende, antwortete er, die Entscheidung für ein bestimmtes Material sei absolut zweitrangig, es müsse nur alt sein. Er benütze ausschließlich Rollen oder Platten, die ihr Verfallsdatum längst überschritten hätten, und lege sich einen großen Vorrat davon an. Diese Schätze lagere er ein wie einen wertvollen Bordeaux. Und er könne warten.
    Von ganz wenigen Ausnahmen abgesehen, konnte ich mit seinen Gemälden ebenso wenig anfangen wie mit seinen Readymades. In ihrer Fülle fanden diese zu einer anderen Aussage als diejenigen Duchamps. Er ging von der für einen Amerikaner selbstverständlichen Überzeugung aus, dass Handarbeit gegenüber dem perfekten und zu jeder Zeit mühelos hergestellten Industrieprodukt altmodische, regressive Knochenarbeit sei.
    Doch mit den Fotos hatte er Ikonen geschaffen, in denen sich nicht die Ewigkeit, sondern eine ebenso perfekte wie definitiv verlorene Belichtungszeit kristallisierte. In seinen Aktaufnahmen traf man auf die erotische Transgression der Banalität und des Gewohnten. Wo fänden die Texte von Breton oder Crevel einen stärkeren Rückhalt als in den lasziven, mehr an Tod als an Sex appellierenden Körpern Man Rays? Hier begegnen wir der Blasphemie als Gottesdienst, der erotischen Frenesie als Nächstenliebe. Sie sind unübersehbare Hinweise auf ein surrealistisches Glaubensbekenntnis, das sich auf de Sades Verkündigung bezog: »Es gibt kein besseres Mittel, um sich mit dem Tod vertraut zu machen, als diesen an die Vorstellung der Ausschweifung zu binden.« Am Nachmittag führte mich Max Ernst nach einem Mittagsschlaf ins Atelier im obersten Stock des Hauses »Dolce Vita«. In ihm fehlte das Wichtigste: die Staffelei. Die Leinwand, an der er eben arbeitete, lag flach ausgebreitet auf einem großen Arbeitstisch, straff gezogen und an den vier Ecken mit Gewichten beschwert. Ich war begierig, von ihm etwas über die verwirrende Alchimie seiner technischen Erfindungen und Erkundigungen zu hören. Er reagierte überaus geduldig und führte vor, wie er Frottagen anfertigte, und zeigte mir seine neuesten Bilder und Collagen.
    Die Frage, ob es eine Formel für das Werk von Max Ernst gibt, ist eigentlich eine in ihrer Paradoxie kaum zu überbietende Reaktion auf dieses reiche, hundertfach verästelte Œuvre. Aber doch wäre es eine Erleichterung, wenn wir unsere Faszination auf einen Nenner bringen und präzisieren könnten. Vertrauen wir uns einem Begriff an, dem Wörtchen »Perfektion«. Suchen wir im Werk, was am besten das perfekte Metier verrät, und entdecken wir im übrigen die Konsequenzen dieser Perfektion für Max Ernst. Sein Werk ist perfekt, weil es dem widerspricht, was wir von einem Dadaisten, Surrealisten oder von einem poetischen Maler schlechthin erwarten. Wir sind auf einen fluktuierenden, durch nichts geminderten schöpferischen Elan gefasst, und wir stoßen überall auf eine

Weitere Kostenlose Bücher