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Mein Glueck

Mein Glueck

Titel: Mein Glueck Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Werner Spies
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fungierte. Duchamp hatte für Max Ernst auch eine Kopie der Mona Lisa mit dem obligaten Oberlippenbart und Kinnbart versehen. Die Leinwand, die in Seillans ihren Platz fand, erinnerte mich in ihrer Schrecklichkeit an Jusepe de Riberas »La mujer barbuda«, ein Bild das möglicherweise zu den Paten/Innen der sexuellen Ambivalenz zählte, zu der Duchamp in seinen Verkleidungen immer wieder griff. In Monte Carlo trat Ende März 1967 erstmals Bobby Fischer auf und gewann das Turnier mit Siegen über Smyslov und Geller. An einem Abend gingen wir nach dem Essen in die Salons der Spielbank. Marcel Duchamp, der mit seiner »Obligation für Monte Carlo« ein treffsicheres Martingal für das Roulettespiel unter die Leute zu bringen suchte, saß den ganzen Abend demonstrativ mit dem Rücken zum langen, mit grünem Tuch bespannten Tisch und dem Roulettekessel. Auf meine Frage, ob ihn das Spiel nicht locken könne, gab er zur Antwort: »Je ne suis pas un gambler.« – »Ich bin kein Spieler.« Er saß da, nicht gelangweilt, aber glücklich fern von all dem, was sich um ihn herum abspielte. Beckett, mit dem ich darüber sprach, erinnerte sich an eine Äußerung, die Duchamp ihm gegenüber beim Schachspiel gemacht hatte: »La vie est une chose si merveilleuse quand on a rien à faire.« (»Das Leben ist solch ein wundersames Ding, dass man im Grunde nichts tun muss.«)
    Anschließend durfte ich Duchamp wiederholt in Neuilly in der Nähe der Porte Maillot im Haus 5, rue Parmentier besuchen. Im Frühsommer und Herbst verließ er für einige Wochen seine Wohnung in der Nähe des Union Square in New York. Ein knarriger Aufzug führte in die Wohnung in Neuilly. Von einem Atelier konnte nicht die Rede sein, eher von einem Studiolo. Er saß leger, mit hellem Hemd, offenem Kragen und schwarzem Pullover und weichen Hausschuhen, in einem dunkelbraunen immensen Ledersessel. Zwischen uns thronte auf seinem weiß lackierten Sockelhocker das Fahrradrad mit seinen blinkenden Speichen. Dahinter führte eine steile helle Holztreppe in die obere Etage. Auf einem anderen Möbel standen »Fountain«, »Flaschentrockner« und »Fresh Widow«. Die Zigarre wanderte unaufhörlich von einer Hand in die andere. Diese sich nie beruhigende Geste lenkte mich immer wieder von dem ab, was er sagte. Oder war die Geste der Klartext? Ich fragte mich, ob mir nicht eigentlich das entging, was er wirklich sagen wollte. Ich dachte an die kryptische Gebärdensprache in Max Ernsts »Rendez-vous des amis« und die Hand mit dem Zeigefinger, die in vielen dadaistischen Arbeiten auftaucht und die Duchamp selbst ins Zentrum seines letzten, über drei Meter breiten Gemäldes für die Bibliothek von Katherine Dreier setzt. Begegnungen mit ihm gehörten zu den verwirrendsten, wenn auch auf den ersten Blick banalsten Begebenheiten. Duchamp, dem interpretierten Menschen, saß die »Verwertung der Zeit«, von der er sprach, wie eine Tätowierung auf der Haut. Er war alles andere als hochmütig und beantwortete völlig phlegmatisch jede Frage bereitwillig und mit erstaunlicher Direktheit. Am meisten hatte ihn, wie er erzählte, in den Jahren vor dem Ersten Weltkrieg die Unbeschwertheit von Paul Valérys Wort »Être poète, non. Pouvoir l’être« (»Dichter sein, nein. Es sein können«) beeindruckt. Er ging auf alles ein und bewies dabei eigentlich nur, dass der Standpunkt revolutionärer Einzigartigkeit – nicht nur des künstlerischen Einfalls, sondern auch des von Duchamp versuchten Abfalls von der Kunst – wie jede idealistische Position von der Realität beschädigt wurde. Dabei gab es grundlegende Äußerungen, die das eigene Werk betrafen. Vom »Großen Glas« meinte er, es handle sich dabei um eine »vagabondage de l’imagination«, eine Landstreicherei der Imagination.
    Er interessierte sich für jüngere Künstler, sprach wie Max Ernst voll Freude von John Cage und erwähnte, dass er sich für die jungen Amerikaner interessiere. Er nannte an erster Stelle Rauschenberg, mit dem er sich hervorragend verstehe, und Warhol, Oldenburg, Rosenquist, Lichtenstein, Jim Dine und Segal. Und er sprach auch von Richard Lindner, mit dem er ausgiebige Gespräche über seine Zeit in München geführt habe. Vor allem von den Sammlungen des Deutschen Museums und vom Auftritt Karl Valentins schien er beeindruckt. Duchamp war der Umgang mit der deutschen Sprache nicht fremd, das beweist nicht zuletzt seine Ausgabe von Kandinskys Über das Geistige in der Kunst , die er in München

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