Mein Glueck
apokalyptische Aschenwelt in seinem Film »Stromboli«, den er drei Jahre später gedreht hatte. Weitere gerngesehene Gäste waren John Russell und seine Frau Rosamond Bernier. John hatte Max Ernst die erste umfangreiche Monographie gewidmet, und Rosamond, die mit ihrem ersten Mann in Paris die Zeitschrift L’œil begründet hatte, war gesucht und berühmt als Conférencière, die ihre Erinnerungen an Picasso, Matisse, Miró, Giacometti oder Max Ernst in öffentlichen Auftritten im Metropolitan oder in der Rice University auf glamouröse Weise präsentierte. Wir kamen alle zur Eröffnung der Rothko-Kapelle, deren Spiritualität und gesammelte Trauer tief beeindruckten und irgendwie an die Aschenwelt des Stromboli oder Becketts Aschenglut denken ließen. Ich fand den diaphanen Entwurf von Philip Johnson für das Wohnhaus de Ménil kurz darauf in dessen »Glass House« in New Canaan wieder, das er nach gemeinsam mit Richard Foster erstellten Plänen hatte errichten lassen. Hierhin lud er mich nach einem Abstecher in sein Büro im obersten Stockwerk des Seagram Building an der Park Avenue ein. Auch Jimmy und Dallas Ernst und ein anderer Nachbar, Marcel Breuer, waren eingeladen. Der große Mann des Bauhauses hatte eben das Gegenteil eines transluziden Gebäudes, die Festung des Whitney Museum, mit seiner treppenförmigen Fassade aus düsterem Granit an der New Yorker Madison Avenue fertiggestellt. Unter dem Titel »A l’intérieur de la vue«, »Das innere Gesicht«, der einem Bild von Max Ernst aus dem Jahr 1929 entstammte, begann noch Jahre vor der Eröffnung des Museums die Tournee der Sammlung von Dominique und Jean de Ménil in Hamburg. Werner Hofmann und Wieland Schmied, der die Schau anschließend für die Kestner-Gesellschaft in Hannover übernahm, waren gute und verlässliche Partner auch bei der Erstellung des Katalogs, für den Almir Mavignier einen sprechenden Umschlag entwarf, der nur die Stirn und die Augen des Künstlers zeigte. Die hundertvier Bilder, Zeichnungen und Skulpturen wanderten durch zehn Museen, dazu gehörte nach Hamburg und Hannover die Pariser Orangerie des Tuileries, wo sich Freunde aus aller Welt nach der Eröffnung am 2. April 1971 zur Feier des achtzigsten Geburtstags von Max Ernst im »Maxim« zum Mittagessen versammelten. An unserem Tisch saß Matta, der während der endlosen Rede von Professor Löffler, dem Freund von Carola Giedion-Welcker, unentwegt pornographische Zeichnungen anfertigte und damit die umliegenden Tische belieferte. Er erzählte, wie er in großen Hitzeperioden seine Freunde immer mit zwei Hosen besuche. Eine stecke er ins Gefrierfach und wechsle sie, sobald die erste warm geworden war.
Zweimal begleitete ich Max auf Wunsch Dorotheas in die südliche Bretagne, zu einer Meerwasserkur nach Quiberon. Ich sollte jeweils einige Tage bei ihm bleiben. Es war damals noch eine lange Zugreise, die ihre Zeit für Reden und Lesen ausbreitete. Max las William Faulkners Als ich im Sterben lag . Immer wieder lachte er laut auf. Nach der Ankunft auf dem Bahnhof in Auray schlug er vor, auf dem Weg ins Hotel nach Carnac zu fahren, um zwischen den Steinreihen aus Menhiren und Dolmen von Le Ménec zu wandern. Wir waren allein auf der fast drei Kilometer langen Megalithanlage. Überall blühte gelber Ginster. Max hatte einen Koffer mit astronomischen Illustrationen aus dem neunzehnten Jahrhundert mitgebracht. Dazu Scheren, Klebstoff und Stifte. Er begann eine neue Serie von Collagen und Frottagen, die dem Himmel, dem Universum galten. Vieles davon verschenkte er an die Ärzte und an das Personal, das ihn betreute. Bei der Arbeit am Œuvre-Katalog haben wir einiges auffinden können, und ich habe die Absicht, für Quiberon eine kleine Ausstellung oder Publikation zusammenzustellen, die diese unvergessliche Begegnung zwischen Max Ernst und der Unendlichkeit über und jenseits des Meeres zeigt.
Die erste Retrospektive, bei der ich auf unsere Ergebnisse der Arbeit am Werkverzeichnis zurückgreifen konnte, fand 1975 im Pariser Grand Palais statt. Sie erweiterte die Ausstellung, die kurz zuvor Diane Waldman für das New Yorker Guggenheim Museum zusammengestellt hatte. Ich konnte sie auf Bitten von Max und Thomas Messer dabei beraten. Gemeinsam mit Germain Viatte und Agnès de la Beaumelle konnten wir für Paris zahlreiche zusätzliche, bisher unbekannte Arbeiten beisteuern. Die Retrospektive in New York war der Anlass für eine gemeinsame Reise über den Atlantik. Wir waren Gäste von
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