Mein Glueck
Dominique und Jean de Ménil und bewohnten ihr Townhouse im östlichen Teil der 73. Straße. Während des Aufenthalts besuchten wir viele Plätze, an denen Dorothea und Max gewesen waren, darunter die Fundgrube Gotham Book Mart in der 47. Straße. Andreas Brown präsentierte eine Ausstellung mit Büchern und Dokumenten. Auch Georges Wittenborn statteten wir einen Besuch ab, der in der Madison Avenue als absolut fanatischer Bewunderer von Max dessen erste, von Robert Motherwell besorgte Monographie in Amerika veröffentlicht hatte. In der Metropolitan Opera hörten wir zusammen »Salome«. Ich erwähne dies so ausführlich, weil es die Behauptung widerlegt, der Surrealismus verachte die Musik. In der Tat blieb diese Ablehnung eine persönliche Marotte Bretons, der der eine oder andere der Gruppe folgte. Als Miró erstmals Dalí ins Hinterhaus der Rue Fontaine mitnahm, bleute er seinem Landsmann auf dem Wege dorthin ein, man müsse in Bretons Gegenwart die Musik verachten. Dieser habe erklärt, er wolle die Nacht über das Orchester hereinbrechen lassen. Bei Max Ernst konnte von so einer puerilen Haltung nicht die Rede sein. Er hatte mit Begeisterung in einem der frühen Tonfilme, »L’âge d’or«, von Buñuel mitgewirkt, zu dem Ausschnitte aus Werken von Mendelssohn und Wagner auf narkotisierende Weise montiert worden waren. Dorothea bestätigte mir dies in einem Brief im September 1978: »Enfin, pour moi la conquête était facile, car en Max dormaient des affinités profondes pour la musique (Brahms, no! – ›un buveur de bière‹ disait Max). Mais pour Wagner la partie était vite gagnée – il voyait peut-être un analogue avec notre amour – au moins c’est ce que je veux comprendre. Enfin, comment le dire sans t’offenser: Max haïssait l’Allemagne.« (»Letztlich war es für mich eine einfache Eroberung, da in Max eine tiefe Affinität zur Musik schlummerte [Brahms, nein! – »ein Biertrinker«, sagte Max]. Aber für Wagner war die Sache schnell klar – er sah in seiner Musik vielleicht eine Analogie zu unerer Liebe – oder wenigstens möchte ich es so sehen. Nun, wie kann ich es sagen, ohne Dich zu verletzen: Max hasste Deutschland.«) Auch bat mich Max, auf meine Frage nach seinen Vorlieben, für den Theaterabend »Endlose Spiele bereiten sich vor« Klaviermusik von Eric Satie zu nehmen. Breton und die Musik: An einem frostig-bleichen Morgen versammelten wir uns vor wenigen Jahren an Montmartre mit den Notabeln der Stadt. Diese weihten eine Place André Breton ein und enthüllten in einem Aufwasch wenige Minuten später in Erinnerung an den Wortführer des Surrealismus am Haus 42, rue Fontaine noch eine Gedenktafel. Plärrende Lautsprecher, die an die Beschallung in Jacques Tatis »Die Ferien des Monsieur Hulot« erinnerten, verbreiteten im Straßenlärm Offenbachs Finale aus »La Vie Parisienne«. Es waren, nach dem Wunsch Aube Ellouëts, die einzigen Klänge, die man dem Vater zumuten konnte. Hatte dieser doch das vernichtende Wort »La musique pue – sauf Offenbach« geprägt. Nur der Cancan Offenbachs entkam seinem bizarren Hass.
In New York besuchten wir eine berühmte Jazzbar, in der Dorothea und Max 1942 erstmals Cole Porters »Day and night« gehört hatten, das Max im selben Jahr als Titel für eines seiner großen magischen Bilder der Jahre in Arizona übernahm. Der Besitzer Jonny schloss gerührt Dorothea und Max in die Arme und ließ uns in einem weißen Rolls-Royce nach Hause chauffieren. Xenia Cage, die uns begleitete, war darüber so erschrocken, dass sie, als der Wagen an einer Ampel zum Stehen kam, absprang und meinte, wir seien sicher in die Hände von Gangstern gefallen. Bei Max wurden viele Erinnerungen wieder wach. Nicht zuletzt an »Gypsy Rose Lee«. Er habe damals das Porträt der »ersten Stripteaseuse« gemalt. Es zeigte Gypsy in einem funkelnden vegetabilischen Environment, halbversteckt hinter Blättern und Dolden. Die Darstellung spielt auf die Bildlegende »I stripped it leaf by leaf« an, die in Gypsys Memoiren das berühmte, aufreizende Foto John Gilmores begleitet. Weitere buhlerische Orgien aus Vegetation und Haut, wie »Convulvulus Convulvulus«, schließen sich an. Überall blinzeln aus den Zweigen Teile eines weiblichen Körpers hervor, Arm, Brüste, Schoß, Schenkel verstecken sich hinter giftigen fleischfressenden Pflanzen und Blumen. Gypsy Lee Rose, Romanautorin, später die Frau von Otto Preminger, gehörte zu den Malerinnen, die Peggy Guggenheim in
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