Mein Glueck
das Maximum dessen, was ich Ihnen sagen kann, und ich hoffe sehr, dass Ihnen eine solche Erfahrung erspart bleibt.« Max habe sich im Unterschied zu ihr überhaupt nicht geängstigt. »Ich wusste, dass eine Katastrophe bevorstand. Ich wollte mich in den Bergen verstecken. Ich hätte alles sofort zurücklassen können, außer den Tieren und den Pflanzen. Die Dinge waren mir absolut gleichgültig. Ich male, weil das die einzige Methode ist, über die ich verfüge, zu zeigen, was in mir verschlossen ist. Dieses sichtbar zu machen, darauf kam es mir immer an. Ist das nicht die Entdeckung dessen, was Realität ist und was die Mehrheit nicht sehen will oder sehen kann?« Doch Max weigerte sich, das Haus in Saint-Martin, das er ausgemalt und mit Skulpturen geschmückt hatte, zu verlassen. Er habe darauf vertraut, dass ihn die Franzosen gut genug kannten, um ihn zu beschützen. »Als ihn dann die Gendarmen abholten, begann eine schreckliche Krise. Die Bauern wurden richtig bösartig. Ich beschloss, Saint-Martin zu verlassen, und verkaufte das Haus zum Schein an einen Nachbarn, der mir versicherte, auf die Art und Weise könnte ich es später wieder zurückbekommen. Natürlich hat er mich bestohlen und das Haus behalten.« Auf meine Frage, ob sie nach dem Krieg nichts dagegen unternommen habe, gab Leonora zur Antwort: »Das habe ich nie versucht. Es wäre zu viel gewesen, in Erinnerungen zu leben. Ich habe nie zu Verlorenem zurückkehren wollen, nie.« In dem Haus hatten beide viele Bilder, Zeichnungen, Fotografien, Bücher und Manuskripte zurückgelassen. Auch diese gingen verloren. Regelmäßig tauchten geplünderte Arbeiten im Kunsthandel auf. Mir gelang es, ein ganzes Paket von Manuskripten Leonoras zu erwerben. Alle waren unveröffentlicht. Die wiedergefundenen Texte, Pigeon vole und Histoire du petit Francis , wurden von Jacqueline Chénieux, die sich damals so ziemlich als einzige für das bedeutende literarische Werk von Leonora Carrington einsetzte, ins Französische übertragen und publiziert.
Dominique und Jean de Ménil organisierten auch meine erste Reise nach Sedona. Am Flughafen in Phoenix erwartete mich Sarah, eine Mitarbeiterin von Dominique de Ménil. Dominique hatte mir zuvor schon angedeutet, dass Sarah ein körperliches Handicap habe, unter dem sie jedoch nicht allzu sehr leide. Ich muss sagen, mit einer stärkeren Dame hatte ich zuvor noch nie Bekanntschaft gemacht. Offensichtlich war sie für mich als Beschützerin, auch als Beschützerin gegen mich selbst, auf diesem dreitägigen Ausflug ausgesucht worden. Sie knabberte ständig und hielt an jedem Burger King, während sie mich nach Sedona chauffierte. Irgendwann blieb der Wagen auf einer Anhöhe stehen, der Motor rauchte, und wir warteten in der Gluthitze auf einen Abschleppdienst. Alle Etappen der Reise, die Motels, die Fastfoods, die Besuche, waren aufs genaueste geplant und vorbereitet. Nun sollte ich endlich in Sedona den Capricorn Hill, das Haus, das Max Ernst dort errichtet hatte, und die Zementfassung der berühmten Skulptur, die der kleinen Erhebung ihren Namen gab, kennenlernen. Hier hatte er aus rötlichen »cinder blocks«, denen Lava aus dem Krater des Sunset Mountain beigegeben wurde, mit eigenen Händen das gebaut, was er seinen »hide-out«, seinen Schlupfwinkel, nannte. Die Freunde Max Ernsts, die ich in Sedona aufsuchte – Helen Frye, Hamilton Warren, Leo Schnur, Lew Davis, Cecil Lockhart-Smith und Robert Kittredge –, hatten viele Erinnerungen an diese Zeit bewahrt. Helen Frye war nicht wenig stolz darauf, dass einer ihrer schwarzen Prachtbullen, von dem sie mir eine Aufnahme verehrte, in einem Bild von Max auftauchte. Auf ihrem Anwesen zeigten mir die Kittredges auch den Platz, an dem Max nach seinem Wegzug für lange Jahre die Bibliothek untergestellt hatte. Und sie berichteten, Nabokov, der in ihrem Haus vorübergehend lebte, habe die Bücher rege benutzt. Zunächst seien die wenigen Nachbarn, die in dieser Einöde lebten, auf Max sehr wütend gewesen. Sie nannten die Masken und Skulpturen, mit denen dieser sein Haus geschmückt hatte, eine »Beleidigung der Landschaft«. Doch dann wären alle erstaunt und voller Bewunderung darüber gewesen, wie es ihm gelungen sei, mitten in der Wüste einen blühenden Garten hervorzuzaubern. Noch Jahrzehnte später schwärmten Helen Frye und ihre Freunde von diesem floralen Wunder in der Wildnis. Sie zeigten mir auch die wenigen Überreste der Anlage, die Max damals für die Bewässerung
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