Mein Glueck
wieder aufbrechenden Schmerz. Und ich beließ es bei ganz wenigen, eher nebensächlichen Hinweisen. Die Jahre in Saint-Martin d’Ardèche, wohin sich Max mit der blutjungen Leonora zurückgezogen hatte, waren in ihrer Erzählung lebendig geworden. Ich sah hinter dem, was sie preisgab, die innigen Fotos des Paares, die Lee Miller gemacht hat. Roland Penrose und Lee Miller hatten mir von der einzigartigen Liebe berichtet, die beide weit weg von Paris ins Ardèche-Tal führte. In Paris ließ er Marie-Berthe Aurenche sitzen. Sie hatte die Trennung nie überwunden. Davon zeugt ein geradezu fetischistischer Angriff auf das Doppelporträt, das Marie-Berthe zusammen mit Max gemalt hatte. Mit einem Gewehr hatte Marie-Berthe auf das Gesicht von Max geschossen. Die Augen hatte sie dabei verfehlt. Die Liebe zwischen Max und Marie-Berthe war oft tumultuös gewesen und ist von einem Flor von Legenden umgeben, die Max ab und zu lachend, mit Tränen in den Augen zum Besten gab. Die Familie Aurenche wollte keinesfalls, dass ihre noch nicht volljährige Tochter, die eben aus einem von Karmeliterinnen geführten Internat nach Paris zurückgekehrt war, diesen gefährlichen, gottlosen Deutschen heirate. Im Auftrag der frommen Familie sollte Max festgenommen und des Landes verwiesen werden. Die surrealistischen Freunde taten alles, um dies zu verhindern. Sie umgaben Max wie eine Leibgarde. Schließlich habe die Familie doch in diese in ihren Augen morganatische Ehe eingewilligt. Die Mutter von Marie-Berthe, eine glühende Royalistin, besaß Dokumente, die nachweisen sollten, dass ihr Mann der Familie von Louis XVI. entstamme und weiterhin Anspruch auf den französischen Thron erheben könne. Max wurde in diese Geschichte eingeweiht. Dies erschien dringend, denn Madame Aurenche war absolut davon überzeugt, man stände unmittelbar vor der Wiedereinführung der Monarchie. Von nun an war von Max bei den Aurenches als von dem künftigen »Prinz-Konsort« die Rede. Das Vertrauen der Schwiegermutter wurde nach und nach so groß, dass sie ihn eines Tages zur Seite nahm, um ihn um einen großen Dienst zu bitten. Sie stelle fest, dass mit ihrem Mann etwas nicht in Ordnung sei. Er komme ihr traurig und lustlos vor und Max kenne doch sicher das berühmte Freudenhaus »La Sphinx« am Boulevard Edgar-Quinet. Sie habe von Freundinnen gehört, dass die Damen dort sehr streng und züchtig, wie in einem Kloster, gehalten würden, und sie bat den Schwiegersohn, ihren Mann doch dort einzuführen. Das übernahm dieser gerne und brachte den Schwiegerpapa an diesen Wonneort, an dem in dieser Zeit Giacometti, viele bedeutende Künstler, Politiker, Hochwürden und Intellektuelle verkehrten.
Max Ernst, Patrick und Monique Spies
Max Ernsts Begegnung mit Leonora Carrington führte zur absoluten, zur erhabensten Amour fou im Kreise der Surrealisten. Eine brennendere Nähe konnte man sich nicht vorstellen. Leonora forderte die völlige Hingabe und notierte am 16. Januar 1939 in ihr Tagebuch in Saint-Martin, das wir in einer französischen Privatsammlung fanden: »Ich bin mit Max in meinem Haus. Seit zwei Jahren bin ich in Max verliebt, verzweifelt und wild. Ich male noch immer, aber nur, um zu verhindern, dass ich verrückt werde. Jede Sekunde … will ich, dass er nur lebe, um mit mir zu sein, ich will, dass er ohne Vergangenheit ist. Ich will ihn für immer. Ich will mit ihm ein Wesen bilden … er sagt, dass er nicht von einer Gouvernante bewacht werden wolle und dass er groß genug ist, um zu wissen, was er wisse. Er brauche keinen Schutzengel. Willst du, dass ich mich umbringe? – Ich, in tiefer Liebe, ja ich will die absolute Liebe.« Einen derart mythischen Beiklang besitzt nur noch ein anderes Foto aus dem Umkreis der Surrealisten: Es zeigt, zehn Jahre später in Sedona, Max und Dorothea Tanning vor der monumentalen Skulptur »Capricorn«. Leonora erzählte wie in Trance von der tiefen Liebe, die beide in den Jahren in der Ardèche verband und die von der Einsamkeit lebte, die sie um sich errichtet hatten. Und sie meinte: »Sie haben sicher auch bemerkt, dass Menschen, die über eine große Imagination verfügen, allein bleiben. Und Max ist für mich der Maler mit der ungeheuersten Imagination in unserer Zeit. Auch Breton blieb letztlich isoliert, weil er nicht viele Freunde hatte.« Sie habe mit Max drei wunderbare Jahre in der Ardèche verbracht: »Ich liebte ihn. Ich war so glücklich. Dann kam der Krieg, und das Glück war vorbei. Im Grunde ist das
Weitere Kostenlose Bücher