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Mein Glueck

Mein Glueck

Titel: Mein Glueck Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Werner Spies
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düsteren neugotischen Dekor aufgetragen wurden, folgten dieser archäologischen Kulinarik. Wir waren eine kleine Runde, Dorothea, Max, Bill Copley, Alexandre Iolas, Andy Warhol, John und Rosamond Russell und noch wenige andere. Plötzlich stellte die Gastgeberin mit Entsetzen fest, dass sich dreizehn Gäste um den Tisch versammelt hatten. Eine Person musste geopfert werden, es war, wenn ich mich recht erinnere, die Frau von Brooks Jackson, mit dem Iolas zusammen seine erste amerikanische Galerie gegründet hatte.
    Andy Warhol hatte damals angefangen, Polaroids zu machen. Er machte eines, signierte es mit einem Filzstift und überreichte es mir. Es zeigte Dorothea, Max, Bill Copley und mich in einem Blow-up, das die Köpfe zu einer nicht gerade eleganten Traube zusammenpresste. Andy fragte mich, ob er nicht zu uns kommen dürfe, um Max zu fotografieren. Er würde allzu gerne ein Porträt von ihm machen. Er hätte eben eine Serie begonnen. Max war sofort damit einverstanden, und wir erwarteten ihn am nächsten Vormittag um 10 Uhr zum Frühstück. Ich öffnete die Tür, und Warhol stand da mit einem kleinen weißen Hund im Arm. Ich war überrascht und sagte: »Ich wusste nicht, dass du einen Hund besitzt.« Andy antwortete, er habe auch keinen, aber da ihm jemand gesagt habe, dass Max Hunde liebt, habe er einen bei einem Freund ausgeliehen. Max war gerührt. Das kleine Tier lief sofort zu Max und sprang an ihm hoch. Nach dem Frühstück und einem spannenden Gespräch, in dem Warhol seine Distanz zur etablierten Kunst erklärte, bat er Max, sich vor die weiße Wand zu stellen und das Kinn auf die zur Faust geschlossene Hand zu legen. Er machte einige Aufnahmen. In diesem Moment kam Dorothea die Treppe herunter. Sie war alles andere als erfreut über die Anwesenheit dieses Gastes, dem sie unterstellte, er wolle nur von Max profitieren. Das war ein trauriger Augenblick. Andy zog mit seinem Hund wie ein begossener Pudel ab. Und Max war sehr unglücklich über den Vorfall. Immer wieder kam er darauf zu sprechen. Auch ein anderes Treffen, das ich organisiert hatte, ein Mittagessen mit William Rubin, gefiel Dorothea ganz und gar nicht. Sie hatte ihm nicht verziehen, dass er ihre Rolle im Surrealismus völlig übersehen hatte. Sie machte ihrem Unmut im Hause de Ménil Max und mir gegenüber Luft. Max meinte darauf, als wir wieder allein waren: »Hast du eigentlich Angst vor Dorothea?« Ich gab zur Antwort: »Ab und zu fühle ich mich im Umgang mit ihr nicht sehr wohl«, worauf er mir erklärte: »Du hast keinen Grund, Angst vor ihr zu haben. Eher sollte sie Angst vor dir haben.«
    Wie immer sprachen wir Deutsch miteinander. In diesem Augenblick trat Dorothea ins Zimmer und fragte: »What are you speaking about?« Max winkte ab, es gehe um etwas absolut Nebensächliches. In den letzten Lebensjahren von Max fühlte ich immer wieder, dass er unglücklich war. Eines Tages, in Seillans, meinte er, es sei nicht immer einfach, mit einer Künstlerin zusammenzuleben, und konstatierte: »Goethe hat das richtig gemacht. Er nahm die Putzmacherin Christiane Vulpius zur Frau.« Und er fügte hinzu: »Vielleicht hätte ich unsere Putzfrau, die Olga, heiraten sollen.« Die schlimmste Erinnerung war der Tag, da ich in Seillans ankam und Max ein kleines Köfferchen vorbereitet hatte und mich bat, mit ihm wegzufahren: »Ich habe nur ein bisschen Geld eingesteckt. Alles andere soll sie gerne behalten.« Dies mitzuerleben war unendlich traurig. Max Ernst war erneut auf der Flucht, wie in der Collage »Défais ton sac, mon brave« aus La femme 100 têtes . Ich meinte, das sei doch nicht möglich, und zum zweiten Mal in meinem Leben hörte ich: »Du bist ein Feigling« – die Worte, mit denen sich mein Vater von mir verabschiedete.
    In früheren Jahren, als Max noch stark war und auch wild reagieren konnte, hatte er in gewisser Weise Rache im voraus genommen. Dorothea fühlte sich ein wenig vernachlässigt und schaute sich in einem Café nach einem jungen Mann um. Sie traf sich ab und zu mit ihm in seinem Zimmerchen, verlangte jedoch, er dürfe sie nie nach ihrem Namen fragen oder ihr nachspüren. Dieses auf den Kopf gestellte »Nie sollst du mich befragen …« Lohengrins ärgerte den Partner, und er meinte, er werde ihren Namen herausbringen. Sie sagte, sie wolle ihn nie mehr treffen. Zwei Tage später überbrachte der Florist einen Kaktus für Madame. Keine Karte lag bei, und Dorothea geriet in Höllenangst und beichtete die Geschichte Max, der

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