Mein Glueck
seines Gartens konstruiert hatte. Als ich zum ersten Mal vor dem Haus stand, waren die Masken an den Wänden, die Köpfe der monumentalen Skulptur und alle irgendwie demontierbaren Teile verschwunden. Nur der Sockel der Sitzfigur und die Bodenplatte waren vor Ort geblieben. Auf dem Boden entdeckte ich die Pfote des kleinen Mischwesens, das zwischen dem Paar zu sehen gewesen war. Ich hob sie auf und nahm sie als Erinnerung mit nach Paris. Ein Jahr später kam ich erneut an diesen Platz. Nun war auch die letzte Spur der monumentalen Skulptur verschwunden. Zwei ältere Fräulein, die das Haus von Jimmy Ernst erstanden hatten, sagten mir, sie hätten diese Scheußlichkeit nicht mehr ertragen können. Doch der Abbruch sei alles andere als einfach gewesen. Dabei trippelten sie wie Abby und Martha Brewster in »Arsen und Spitzenhäubchen« hinter dem Gast im Haus herum, das sie kurz zuvor mit Teppichboden hatten auslegen lassen. Als ich dies nach meiner Rückkehr Max berichtete, reagierte er auf die Zerstörung mit einem Gleichmut, der für seine Beziehung zu Ruhm, Anerkennung und Ewigkeit bezeichnend war.
Aus dem kleinen Fund, den ich an mich genommen hatte, wurde für mich ein sprechendes Symbol des Surrealismus, der den Blick auf das lenkt, was sich der Nützlichkeit und der Harmonie entzieht. Wenn wir die Welt der Surrealisten näher betrachten, stellen wir fest, dass in ihnen alles Gewohnheitsmäßige außer Kraft gesetzt wird. Menschen, Gesichter, Gegenstände werden ihrer Umgebung entrissen, fragmentiert, treten zu einem »Durcheinander der Dinge« zusammen. Dank dieser Vereinzelung der Dinge wird das Habituelle rätselhaft. In André Bretons Vorwort zu Max Ernsts Collageroman La femme 100 têtes fand ich die Begründung für meinen fetischistischen Umgang mit dem kleinen Zementbrocken, den ich aus Sedona mit nach Hause nahm. Breton spricht von der Verfremdung, sie bildet in seinen Augen das A und O aller Surrealität. Und als Beispiel führt er an: »Man kann eine Hand verfremden, indem man sie vom Arm trennt. Sie gewinnt dabei ›als Hand‹.« Eine grandiosere Definition für ein geglücktes Transplantat aus der Dingwelt in unsere Imagination lässt sich nicht denken. Ein anderer Zeuge vor Ort, der Fotograf Frederick Sommer, den Max Ernst bereits vor dem ersten Aufenthalt in Sedona getroffen hatte, berichtete mir bei einem Abstecher zu seinem Haus in Prescott am Watson Lake, Max Ernst sei »per Zufall« 1941 in der Howard Putzel Gallery in Beverly Hills auf seine Fotografien und Zeichnungen aufmerksam geworden. Dabei habe Max ihm gegenüber den Wunsch geäußert, Arizona kennenzulernen. Max, der mir vor meiner Reise viel von der grandiosen Schönheit Arizonas erzählte, meinte einschränkend, ich werde dort keine liebenswürdige, sondern eine abweisend heroische Landschaft kennenlernen. Manches spiegele sich in ihr wider, was er in der Serie der »Jardin gobe-avions« oder in »La ville pétrifiée« vorausgeahnt und gesucht habe. Er beschreibt in diesen eine öde, lebensfeindliche Trostlosigkeit, die er auch in den Fotografien Frederick Sommers sah. In »Chicken« (1939), »Glass« (1943), »Arizona Landscape« (1945) taucht diese gefräßige Einöde auf. Sommer erzählte mir, wie er abgetrennte Tierköpfe und Innereien von Hühnern vor einer Landschaft inszenierte, die die Kamera mit unerbittlicher Tiefenschärfe festhält. Es war kein Wunder, dass sich Max Ernst bei der Begegnung mit diesen Aufnahmen an Cosima Tura und die ferraresische Malerei erinnert fühlte. Sie sind auch auf der Liste »Max Ernst’s favorite painters of the past« aufgeführt, die er nach seiner Ankunft in New York in der ihm gewidmeten Sondernummer »View« publizierte. Die Fragmente und das Antiquarische im Umkreis von Mantegna haben ihn von früh an beschäftigt.
Später war ich häufig Gast bei Dominique und Jean de Ménil in Houston. Dabei kam es regelmäßig zu Begegnungen mit Renzo Piano, der dabei war, für die Ménils eines der schönsten Museen zu entwerfen. In der eleganten Schlichtheit der Räume ließ sich so etwas wie ein architektonisches Selbstporträt der Sammlerin entdecken. Außergewöhnliche Besucher tauchten in Houston und im New Yorker Penthouse auf. Einmal wohnte ich einige Tage im Zimmer neben Roberto Rossellini. Rossellini vergegenwärtigte uns den fatalen und erschreckenden Eindruck, den das Berlin der Nachkriegsjahre auf ihn gemacht hatte. »Germania anno zero« bedrückte ihn ständig, wie auch die
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