Mein Glueck
Ansicht nach verzichtete Perec in seinem Buch auf die Verwendung des Buchstaben »e« wie Monique Wittig auf das männliche Geschlecht. Doch hatte der grammatikalische Zwang, dem Monique Wittig ihre Erzählung unterwarf, einen völlig anderen, politisch-feministischen Hintergrund, dessen Aggressivität und Überheblichkeit mich im Gegensatz zu dem Jonglieren mit Sprache bei Perec abstieß. Ich empfand Wittichs Art zu schreiben als Rationierung der Menschlichkeit. Nathalie sagte mir, wenn ich bei ihr sei, würde Monique nicht kommen. Sie weigerte sich jahrelang strikt, mich überhaupt noch zu treffen. In Chérence kam es in den frühen neunziger Jahren zu einer ersten, höflich-gespannten Wiederbegegnung. Doch das Zusammensein, die Diskussionen führten vor Nathalie und gegenüber Nathalie zu unerträglichen Szenen. Monique war völlig verändert, sie hatte sich, wie Nathalie meinte, verändern wollen. Sie nahm offensichtlich Hormone, die dafür sorgten, dass ihr rings um den Mund und an der Stirne Bartstoppeln sprossen. Auf die letzten Briefe, in denen sie mir kurz vor ihrem überraschenden Tod eine erneute Zusammenarbeit vorschlug, hatte ich nicht mehr den Mut zu antworten.
In La Roche-Guyon kehrte unsere Gruppe nach einer Wanderung über den leuchtenden Kalksteinfelsen in einem einfachen kleinen Restaurant ein. Es lag an der Seine, direkt neben der Brücke, von der die Bomben der Alliierten nur wenige Bögen übriggelassen hatten. Georges Braque hatte sich des wuchtigen, kantig geschnittenen Schlosses, das der Familie von François de La Rochefoucauld gehörte, 1909 als Motiv für seine frühesten kubistischen Bilder bedient. Es besaß die harte, wie mit dem Messer geschnittene Kubatur, die Picasso zuvor, bei seinem Aufenthalt im katalanischen Horta di Ebro, zur ersten kubistischen Facettierung der Bildarchitektur animiert hatte. In La Roche-Guyon lag eines der Hauptquartiere Rommels, der sich hier wiederholt mit Stülpnagel traf. Während der deutschen Besatzung tauchte Nathalie Sarraute als Mademoiselle Nicole Sauvage in Parment bei Pontoise unter, wo sie als Volksschullehrerin arbeitete. Als ein Beamter sie registrieren wollte, reagierte er auf den Namen »Sauvage« und bemerkte: »Sauvage, was für ein Name, das lässt an Hitler denken.« Sie erzählte mir, dass sie eines Tages auf den Champs-Élysées plötzlich Göring gegenüberstand, der sie gemustert habe. Die schneeweiße makellose Uniform des Feldmarschalls faszinierte sie dabei über die Maßen. Die Intensität ihrer Erinnerung verblasste auch nach Jahren nicht. Ihr spätes, persönlichstes Buch Kindheit zeugt davon, und auch während unserer langen Bekanntschaft konnte ich dies beobachten. Im Mittelpunkt ihrer Beobachtungen standen minimale Freuden ebenso wie blockierende Ängste. Ein kafkaesker Zweikampf mit der verhassten Gouvernante, die sie streng – auf Deutsch – mit einem »Nein, das tust du nicht« zu bezwingen suchte, gehört zu den Initialdramen, von denen ihr schriftstellerisches Werk lebt. Die kleine Nathalie »tat es eben doch«, sie packte die Schere und stieß sie mit aller Kraft in den Leib des weichen Sofas. Sie ermordete es, sie weidete es aus. Alles mit dem Ziel, die Eltern würden die verhasste Erzieherin entlassen. Immer wieder hat uns Nathalie Sarraute diese Geschichte erzählt. Aber erst als diese Szene zum Nukleus eines Buchs wurde, konnte man ermessen, welche Bedeutung diese Revolte im Salon hatte. Das Ereignis erschien als »acte manqué«, als verhinderte Tat. Es war eine Ersatzhandlung des kleinen Mädchens, ein Angriff auf jenes Messinstrument bürgerlicher Normalität, das sie später am meisten hassen sollte: auf Sigmund Freuds Couch, auf den maskulinen Operationstisch, Mittel zur Wiederherstellung eines normativen, erklärbaren Verhaltens. Erklärungsmuster und Geständnisse stellte Nathalie Sarraute absolut in Frage. Ihr Rüstzeug hatte sie sich im Umkreis der forensischen Rede, als Anwältin, erworben. Das winzige Arbeitszimmer, ihr »Nest«, mit einem Tonnengewölbe, in das sie sich in Chérence zurückzog, lag halb unter der Erde. Es ersetzte hier auf dem Land das Café Ecke Boulevard Marceau und Rue Jean Giraudoux, in das sie sich jeden Morgen in Paris zurückzog, um stundenlang ungestört zu schreiben. Zu Hause konnte sie dies nicht. Nur ein alter Mann saß hier regelmäßig still in der Ecke. So gut wie alle Bücher entstanden in diesem Bistro.
Eines Tages störte den Frieden von Chèrence ein unerwarteter
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