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Mein Glueck

Mein Glueck

Titel: Mein Glueck Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Werner Spies
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Umgang mit dem Werk, der die Genese seiner Collagen auf eine völlig neue Ebene hob. Fragen der Auswahl und der Verwendungsmöglichkeiten des Ausgangsmaterials rückten in den Vordergrund. Und es war schließlich mein Wunsch und meine Absicht gewesen, bei Max Ernst eine Komplexität und ein konzeptuelles Wollen nachzuweisen, die denen eines Duchamp in nichts nachstanden. Das wurde auch sofort nach Erscheinen des Bandes erkannt. Der Blick auf das Material gestattete es, die Produktionsästhetik, die hier am Werk war, in ihrer komplexen Dialektik zu erkennen. Rudolf Arnheim schrieb mir dies in einem Brief und meinte mit dem Blick auf die Quellen: »Aber erst Ernst ist es gelungen, diese Aufpfropfungen zum Leben zu erwecken, und zwar so, dass trotzdem immer an ihre Unrealität erinnert wird.« Das war der Ton aller Briefe, die ich damals von Aragon, André Chastel oder Gombrich erhielt. Ich zitiere noch einen von Christa Wolf, der ich ein Exemplar hatte zugehen lassen: »Ich denke natürlich nicht daran, Ihnen Ihre Qualitäten zu preisen – aber dass es das gibt, soviel Sachverstand gepaart mit Sensibilität, kann einen direkt glücklich machen.« Meine Freunde Claude und Françoise Hersaint gaben aus Anlass des Erscheinens der französischen Ausgabe bei Gallimard in ihrem Appartement in der Avenue Henri Martin einen Empfang, zu dem auch Monique und Claude Lévi-Strauss zu Ehren ihres Freundes Max Ernst erschienen. Erst später hatten die Besitzer der Wohnung erfahren, dass Alfred Cortot in diesen Räumen während der Okkupation Klavierabende gegeben hatte, an denen auch Göring teilgenommen haben soll.
    In meiner Publikation kam es darauf an, die Vorlagen nicht zur Interpretation der Collagen heranzuziehen, sondern mit dem Blick auf sie die Fremdheit, die Max Ernst anstrebte, in ihrer ganzen Beunruhigung spürbar zu machen. Aus diesem Grunde hatte ich auch auf die Veröffentlichung zahlreicher Vorlagen verzichten können. Später fand ich es deshalb auch wenig angemessen, auch irgendwie deplaziert, wenn die eine oder andere Magisterarbeit aus den Büchern, die ich benannt hatte, ein Motiv abbildete mit dem Hinweis auf eine von Werner Spies übersehene Quelle. Vor allem die amerikanische Kunstwissenschaft mit ihrer Manie, positivistisch Fakten zu sammeln, suchte nach zusätzlichen Belegen. Ich nannte diese »Funde« etwas verächtlich »kunsthistorische Bäuerchen«. Ärgerlich war dabei, dass der eine oder andere Autor versuchte, aus den aufgefundenen Stücken eine Collage nachzubauen. Nachdem Max Ernst das Buch studiert und gelesen hatte, nahmen auch unsere Unterhaltungen eine neue Richtung. Ich spürte, dass er glücklich war. Die Gespräche mit ihm waren nicht zuletzt deshalb so aufregend und außerordentlich, weil er alles Pedantische hasste. Ständig durchbrach er Stimmungen und Diskussionen, die ins Generelle abzurutschen drohten. Er reagierte mit unglaublicher Geschwindigkeit, durchschaute Menschen blitzartig. Es kam immer wieder zu unvergesslichen Szenen, so wenn ihn jemand fragte, was er von Marcel Duchamp »comme homme«, als Mann, halte. Die Antwort war von tödlicher Treffsicherheit: »Als Mann war er wunderbar, als Frau habe ich ihn nicht erlebt.« Doch selbst eine solche rasche Replik war nicht frei von subtilen Anspielungen, wusste man doch, dass Duchamp in seinen Selbstporträts mit der platonischen Unzertrennlichkeit der Geschlechter spielte. Und als er einmal in hohem Alter in Houston zwischen jungen, hübschen Studentinnen saß und erzählte, konnte eine der Zuhörerinnen nicht an sich halten und rief voller Bewunderung: »O Max, you have so a wonderful mind.« Die Antwort bleibt unvergesslich: »And what’s about my body?«

Pariser Kreise – Freundschaften

Viele unerwartete und folgenreiche Begegnungen fielen in diese frühen Pariser Jahre. Eine der tiefgehendsten war die mit Nathalie Sarraute. Beinahe vierzig Jahre lang sahen wir uns regelmäßig, manchmal jede Woche. Wenigen Menschen habe ich mich, haben Monique und ich uns so nahegefühlt. Wir liebten einander. Von Anfang an nahm sie an unserem Glück und Leben teil. Als 1964 unser Sohn Patrick geboren wurde, kam sie als erste mit Geschenken auf die Entbindungsstation nach Chatou weit im Westen der Stadt. Jahre später sagte sie etwas zu mir, das mich unendlich glücklich machte: Ich hätte sie mit den jungen Deutschen versöhnt. Im übrigen meinte sie, sie kenne mich noch länger als Monique. Und sie erinnerte sich genau an die erste Frage,

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