Mein Glueck
demonstrieren, dass der Rechner aus den Worten die korrekte Fassung von »Wanderers Nachtlied« kombinieren könne. Doch tatsächlich tauchte eine völlig unerwartete Version auf. Sie verkündete »Über allen Gipfeln ist Knopfloch«. Ein früher eingespeistes Wort hatte sich offensichtlich nicht entfernen lassen. Benses Reputation und auch Benses Kuriosität beschäftigten selbst die Japaner. Als ich einmal in Kyoto während der Kirschblüte mit einem Germanisten am Ufer des Kamo spazierenging, fragte mich dieser plötzlich: »Finden Sie nicht, dass die Bedeutung von Sense Bense eine übersteigerte ist?«
In Paris brachte ich auch Walter Boehlich zu Nathalie Sarraute, dessen Wissen und sarkastische Heiterkeit sie sofort schätzte. Wir hatten einen ernsten Anlass. Es ging um die Übersetzung von Uwe Johnsons Mutmaßungen über Jakob für den Suhrkamp Verlag. Ich selbst hatte dieses Buch für mich während des Studiums entdeckt und war damals zwölf Kilometer nach Tübingen gewandert, um einer Lesung des Autors beizuwohnen. Nathalie saß ratlos über der französischen Version, die Boehlich mitgebracht hatte. Für das Holzschnittartige des Stils konnte auch sie keine äquivalente Lösung vorschlagen. Sie brütete sicher ein, zwei Stunden mit uns an einem Tisch im Salon über der ersten Seite und meinte schließlich, das Buch sei unübersetzbar.
Aus den Gesprächen mit den Freunden Nathalies, mit Jewtuschenko, mit Hannah Arendt, François Bondy, Mary McCarthy, Gerda Zeltner, der reizenden Jane Birkin, die zumeist mit ihrem voluminösen geflochtenen Korb und ihrem unnachahmlichen britischen Akzent vorbeikam, oder Monique Wittig, wurde einem klar, dass die ideologische Ummauerung, die den anderen Teil der Welt, also Russland, umschloss, für Nathalie Sarraute Wunde und Trauer blieb. Davon war auch an einem Abend bei uns die Rede, an dem sie – es war ihr dringender Wunsch – mit Hans Magnus Enzensberger zusammenkam. Er war für sie der romantische Deutsche, von dem sie später immer wieder schwärmte. Auf einer ersten politischen Ebene drückt sich in ihren Büchern Misstrauen und die tödliche Spannung aus, die zur Legenda aurea der Zeit gehört. Spionage, Prozesse finden ihren Ausdruck nicht zuletzt in der Technik der »sous-conversation«. In dieser werden die Dialoge ständig von Hinweisen auf Tortur und Zwang begleitet. Während ihrer Reisen in die UdSSR in den sechziger und siebziger Jahren machte Nathalie Sarraute genügend Erfahrungen, die diese Darstellungsform nährten. Sie begegnete alten Freunden wie Lilya Brik, der Schwester Elsa Triolets. Aber man könne, so ihr Bericht nach einer Lesereise, nicht einmal Freunden trauen. An einem Tag hatte sie im Hotelzimmer ihren abgeschlossenen Koffer zurückgelassen. Als sie später zurückkam, um ihre vergessene Brille zu holen, erinnerte sie sich, dass sie diese möglicherweise versehentlich im Gepäck habe liegen lassen. Sie öffnete das Schloss und fand das Gesuchte. Doch als sie die Brille aufsetzte, konnte sie mit ihr nichts sehen. Sie legte sie wieder in den Koffer zurück und verließ das Haus. Sie sah dann, dass die Freundin-Begleiterin kurz nach ihr ins Hotel schlüpfte. Als sie dann wiederum zurückkehrte und mit dem Schlüssel ihr Gepäck öffnete, da war die Brille nun die richtige. Die Begleiterin hatte ihre eigene beim Durchsuchen des Koffers mit den Gläsern von Nathalie verwechselt und sie jetzt, nachdem sie selbst ihren Irrtum hatte feststellen müssen, wieder abgeholt. Hinter allem, was Nathalie erzählte, tauchte sofort das Grundsätzliche ihres Zweifels auf, Argwohn und Verhör. Immer wieder lässt sich hier ein Zusammenhang mit den Texten Kafkas herstellen, mit dem Unbedingten der Verdächtigungen und der Schuld. Ihre Bücher vergreifen sich am Individuum, drehen ihm den Hals um, packen es am Kragen. Ein entscheidender Beitrag zur Nivellierung des Daseins in der nachexistentialistischen Periode: Die Verdrängung des Helden, bei Kafka und Joyce noch metaphysischer, schmerzlich erlebter Prozess, macht einer generösen, masochistischen Selbstaufgabe Platz. Alles individuelle Aufmucken – als Gefühl, als Lüge, als Beichte – verfällt bei ihr in Ironie. In ihren Romanen gibt es keine Gestalt, die sich diesem forensischen System des Argwohns zu entziehen vermöchte. Alle Akteure sind ihm ausgeliefert. Mögen auch die narrativen Elemente, die in den Büchern auftauchen und die sich nacherzählen lassen, immer wieder reale, häufig überaus
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