Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Mein Glueck

Mein Glueck

Titel: Mein Glueck Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Werner Spies
Vom Netzwerk:
behaupteten dies zwar. Aber das war pure Angeberei. Nichts stimmte davon. Das einzige Privileg, das Picasso Kahnweiler einräumte, bestand darin, bei einem – selten zugestandenen – Besuch im Atelier in Mougins die Vorliebe für das eine oder andere Werk zu äußern. Den Wunsch notierte der Künstler hinten auf dem Keilrahmen der Bilder. Aber das Kommerzielle musste ausnahmslos über Kahnweiler und die Galerie abgewickelt werden. In diesem Punkt blieb Picasso der Exklusivität treu, die er von Anfang an mit Kahnweiler vertraglich vereinbart hatte.
    Kahnweiler liebte Stil und Distanz. Doch die unterschieden sich unübersehbar von dem herablassenden Verhalten eines Georges Wildenstein. Dieser gab seinem Besucher nie die nackte, sondern die Wildlederhand. Sie war trocken und rauh wie die des Wolfs im Märchen. Man dachte an eine vermögende, bemittelte Heiserkeit. Dazu passte bei Kahnweiler auch seine hochgewachsene persönliche Sekretärin, Fräulein Lerbs, die aus Bremen stammte. Ihr Vorname war sicherlich für den fanatischen Wagnerianer bei der Wahl der distinguierten Brünnhilde entscheidend gewesen. Alles strömte eine zeremonielle, kühle Höflichkeit aus. Nur Jeannette Druy, die an einem Tischchen am Empfang saß und wachte, ging etwas rauher mit den Menschen um, vor allem wenn sie ihr unbekannt waren oder unangemeldet die Galerie betraten. Auf alles ließ sich Kahnweiler, der mit Freuden und mit Neugierde Besucher aus aller Welt empfing, ein. Das konnte ein Künstler, ein Sammler, ein Museumsmann oder ein Neugieriger sein oder auch Anne-Marie, die über neunzig Jahre alte, sorgfältig gekleidete Schwester von Wilhelm Uhde, dem Entdecker des Douanier Rousseau, von Séraphine und dem Verfasser des Erinnerungsbuches Von Bismarck bis Picasso , dem Picasso in einem frühen kubistischen Porträt einen auf fiese Weise zugespitzten Trichter als Mund aufgesetzt hatte. Uhde war in den frühen Jahren des Jahrhunderts nicht nur Freund, sondern Rivale Kahnweilers gewesen. Letztlich soll er ihn animiert haben, zur Place Ravignan hochzusteigen, um das Atelier Picassos aufzusuchen. Kahnweiler empfing die Gäste in seinem weitläufigen Büro, das mit einer hellbraunen Ledergarnitur und einem gläsernen Tisch von Mies van der Rohe ausgestattet war. Hinter dem sorgfältig aufgeräumten Schreibtisch hing zumeist ein großformatiger Picasso oder Léger. In späteren Jahren blieb Kahnweiler hinterm Schreibtisch sitzen. Den Bericht von Mademoiselle Uhde, sie habe ihren Bruder nun auf dem Friedhof Montparnasse in die Allée Raffet umbetten lassen, hörte er aufmerksam und offensichtlich mit Interesse an und quittierte ihn mit dem Lob »Da haben Sie recht daran getan«. Die Galerie war auch der einzige Ort, an dem man ab und zu Dora Maar traf. Sonst hätte man in aller Herrgottsfrühe in die Kirche gehen müssen, denn dort leistete sie, wie es hieß, jahrzehntelang Abbitte dafür, dass sie so eng mit Picasso, dem Teufel, liiert war. Sie war eines der intelligentesten Wesen, mit denen sich Picasso zusammengetan hatte. Vor allem in den Monaten, da der Künstler »Guernica« malte, spielte sie eine entscheidende Rolle. Sie diente irgendwie als Modell für die Stimmung, die Picasso in dieser Traueranzeige für sein Land zum Ausdruck bringen wollte. Ihre ständigen hysterischen Weinkrämpfe, ihr von Tränen überranntes Gesicht standen hinter Picassos »Weinenden Frauen«, die als Postskripta zu diesem Historienbild entstanden waren. Ich sah sie dann lange nicht mehr. Nach ihrem Tod durfte ich sie mit zwei Freunden noch einmal im Namen des Centre Pompidou grüßen. Sie lag aufgebahrt im Funérarium des Hôtel de Dieu. Sie hatte auch nach dem Tod ihr breites, wie aus Stein geschnittenes Gesicht bewahrt.
    Regelmäßig gewann ich den Eindruck, als betrachte der legendäre Entdecker Kahnweiler es nun als seine Aufgabe, die jetzige Zeit vor den Über-Entdeckungen zu warnen. Denn die Aktivität in den Galerien und in den Ateliers ließ sich nicht mehr übersehen. Er ärgerte sich darüber, dass jeder glaubte, seine Meinung zu Kunst abgeben zu müssen. Mehr und mehr verachtete er den Kunstbetrieb. Diese permanente Nervosität im Rechthaben und Urteilen sei typisch für Paris. Hier könne man jederzeit mit einem gewissen verachtenden Stolz zugeben, unmusikalisch zu sein und nichts auf Konzerte und Oper zu geben. André Breton hatte für diese Attitüde das intellektuelle Modell abgegeben. Doch wer wäre schon bereit, hierzulande einzugestehen,

Weitere Kostenlose Bücher