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Mein Glueck

Mein Glueck

Titel: Mein Glueck Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Werner Spies
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Impressionismus, dessen langwierige Rezeption von Hohngelächter und Unverständnis begleitet worden war. Und das Beispiel par excellence lieferte ihm die Kunst, deren Durchbruch er sich selbst zuschreiben durfte, der analytische und synthetische Kubismus von Picasso, Braque, Léger, Laurens und Juan Gris. So gut wie alle hatten diese Werke zunächst mit Kopfschütteln abgetan. Für Kahnweiler war der Kampf für seine Künstler eine ernste Sache. Spott oder Ironie habe ich bei ihm nie bemerkt. Und nirgends sonst habe ich für den Verzicht auf Stimmung, der die Abhängigkeit vom Biographischen zum Ersticken bringen sollte, ein eindrucksvolleres Ritual erlebt als in dieser Galerie. Nichts sollte ablenken. Die Kühle und die Reserve, die nach außen hin gezeigt wurden, waren praktizierter Strukturalismus, der zu dieser Zeit begann, sich in den geisteswissenschaftlichen Disziplinen von allem Aleatorischen und Anekdotischen abzuwenden. Das geschah in der Galerie vielleicht unbewusst, aber in diesem Unbewussten lag der Anspruch auf Ewigkeit, die nicht auf Anekdoten und Berichte von außen angewiesen blieb. Kahnweiler war zu dieser Zeit bereits dabei, in die Geschichte einzutreten. Ich war stolz auf diese enge Beziehung, auf diese Freundschaft, und ich nahm Freunde und Bekannte aus Deutschland mit, um ihnen Gelegenheit zu geben, sich mit diesem unersetzlichen Zeitzeugen zu unterhalten.
    Kahnweiler bot mir eines Tages auch an, dass wir uns duzten. Picasso legte von Anfang an Wert auf die Distanz zum Händler, und er zeigte sich darüber erstaunt: »Sie sagen Du zu Kahnweiler? Das habe ich nie gemacht.« Dies führte zu einer Kettenreaktion, denn nach dem Tode Kahnweilers meinte Zette Leiris, nun sollten wir uns duzen, und nach ihrem Tod übernahm Michel Leiris die Nachfolge dieser familiären Intimität.
    Sehr überrascht, ja bewegt hat mich die Reaktion von Karl Korn, der 1965 den Besuch in der Galerie zu einem Auftritt benützte, um die Havarie der eigenen Biographie zu beklagen und Rechenschaft für Schreiben in der Nazizeit abzulegen. Dabei verwies Korn auf seine Liebe zu diesem Land, auf die zwei Jahre, die er als Lektor an der Faculté des Lettres in Toulouse verbracht hatte, und auf sein Buch Zola in seiner Zeit . Fritz Picard, der in der Rue du Dragon zusammen mit seiner Frau Lil die Buchhandlung »Calligrammes« gegenüber dem Laden der Cahiers d’Arts von Christan Zervos gegründet hatte, hatte mir bereits am Tag nach meiner Ankunft in Paris empfohlen, ja nicht die Chance einer Vernissage in der Galerie Louise Leiris ungenutzt verstreichen zu lassen. Dies sei die fabelhafte Gelegenheit, den berühmten Kahnweiler kennenzulernen. Ihn solle ich im übrigen herzlich von ihm grüßen. Die Adresse Picards und ein Empfehlungsschreiben an ihn hatte ich aus Stuttgart mitgebracht. Bruno Manuel, der in der Redaktion der Stuttgarter Zeitung die Rubrik »Vermischtes« leitete, hatte es mir auf den Weg gegeben. Bei ihm, bei Grete Pröhl und später auch im Feuilleton hatte ich nach dem Ende meiner zweijährigen Volontärzeit beim Schwarzwälder Volksfreund einige Monate lang einen Platz als Redakteur gefunden. Es war ein stimulierender, überaus freier Kreis. Dort war ich mit Helmuth Karasek, Oliver Storz und Rolf Michaelis zusammen, die sich auf reizende Weise um den Jüngeren kümmerten. Wie Karasek später in einem Interview sagte, hätten sie mich in der Redaktion »des Spiesle« genannt. Er blieb mir offenbar gewogen, und jedes Mal, wenn wir uns treffen, ist es eine Freude. Er erinnert sich auch mit Verwunderung an die erste Rezension, die ich ihm von Paris aus sandte und die mit dem Paradox spielte: »Dieses Buch spricht Bände.« Etwas von dem freien, unabhängigen Geist, der im Stuttgarter Turmhaus herrschte, spiegelt sich weiterhin im pointenreichen, gebildeten Schreiben von Gerhard Stadelmaier wider, der gleichfalls aus dieser aufmüpfigen Schule stammt. Dabei lernte ich bei der Stuttgarter Zeitung nicht nur Umbruch und Bleisatz kennen, sondern bekam eine ebenso generöse Aufklärung, die auch Bertolt Brecht und Josefine Mutzenbacher einbezog.
    Die älteren Freunde warnten mich nicht zuletzt davor, ins Dreifarbenhaus zu gehen. Denn da müsste ich volljährig sein und dies nachweisen können. Die säkulare Drastik und Dreistigkeit, die ich auf diese Weise kennenlernte, waren für mich, den hundertprozentigen Konviktoren, neu und hatten eine Wirkung, die mich auf den Weg der Befreiung brachte. Sie nahmen mir etwas von

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