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Mein Glueck

Mein Glueck

Titel: Mein Glueck Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Werner Spies
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Verfasser einen Gruß notierte. Fast jeden Abend war Joseph Breitbach im Theater, begleitet von seinem jungen Freund, der sich in der Pause jeweils unter dem Blick seines Protektors richtiggehend symbolisch abwechselnd an den Kugeln in seinen zwei Eistüten erfreute.
    Ich kam in Paris an mit der Erwartung, nun beginne auch für mich das eigentliche Leben, von dem ich so viel gehört und in das ich mich lesend hineingesteigert hatte: Konnte doch jeder Schritt über den Boulevard Saint-Michel, vorbei an Notre-Dame, eine Veränderung auslösen. Noch nie zuvor hatte ich so intensiv und fordernd in Gesichter geblickt. Es schien mir, als ob ich von ihnen alles erwarten könne. Eine fremde und verwirrende Stimmung packte mich. Alles war neu, es kam mir vor, als sehe ich erstmals mit dieser Genauigkeit Leiber. Ich denke an eine Eintragung Kafkas in sein Reisetagebuch kurz nach der Ankunft in Paris. In ihr ist von zwei kleinen Französinnen »mit viel Fleisch um den Popo« die Rede. Es ist einer der aufreizendsten und konkretesten Sätze bei Kafka. Dies fiel in die Zeit, da ich bis zum Hals in Flauberts Novembre steckte. Der Autor schildert, wie er sich mit unendlicher Gier Liebe herbeiwünscht. Eine leidenschaftlichere und hoffnungslosere Beschreibung des fehlenden Körpers kannte ich nicht. Und ich wollte mehr als Beschreibung.
    Die Galerie Louise Leiris, das Sanktuarium Kahnweilers, die ich als erstes aufsuchte, war alles andere als ein Ort, der der Vorstellung von Kunst und von Bohème entsprach. Er hatte überhaupt nichts mit den eingelernten Plätzen, Ateliers und Cafés am Montmartre oder um Montparnasse zu tun. Der Weg zu Kahnweiler führte über den melancholischen Parc Monceau, in dem in Schwarz-Blau gekleidete Jungen und Mädchen mit weißen Strümpfen spielten und Kindermädchen mit Häubchen an der Rotunde von Ledoux riesengroße, tiefe Korbwägen vorbeischoben, zu einem auf den ersten Blick sterilen und, wie es mir schien, abweisenden sechsstöckigen Neubau. Dort hatten neben der Galerie im Erdgeschoss Verwaltungen und Versicherungen Platz gefunden. Doch die Architektur, die Kostbarkeit der Materialien, die Verwendung von Travertin, die geometrischen Metallgitter, die ein verspätetes Art déco verrieten, unterstrichen, dass es sich um eines der teuersten Gebäude in diesem achten Arrondissement handelte. Hier wachte, wie vor anderen exklusiven Bürobauten, ein Portier, der in dunkelblaues Tuch gekleidet war – eine für Angestellte typische Farbe, auf der sich Schuppen und ausgefallene Haare wie Insignien präsentieren. Es war deutlich zu spüren, dass in dieser Gegend, auf der rechten Seite der Seine, der Kunsthandel ein völlig anderes, den Käufer beruhigendes Gesicht zeigen wollte. Auch für Kahnweiler, der erst vor kurzem die neuen Räume bezogen hatte, war dieser Standort, der ihn mitten in den Finanzbetrieb verpflanzte, ungewohnt. So erklärt sich vermutlich auch das böse Wort, mit dem Douglas Cooper meine Hochachtung für Kahnweiler, den Entdecker und Interpreten von Picasso, Braque, Léger oder Gris beim Mittagessen in seinem Château de Castille bei Avignon stoppen wollte. Ja, er sei jedenfalls ein talentierter Bankier, bedeutete er mir pikiert. Der reiche Sammler verabscheute Kahnweiler, denn dieser würde ihm nie vergessen, dass er die Briefe von Juan Gris, die ihm der Kunsthändler zur Lektüre überlassen hatte, einfach unverfroren unter seinem eigenen Namen herausgegeben hatte. Es war der Hass des eigenen schlechten Gewissens, den Beckett in Watt beschreibt: Zwei Männer sitzen auf einer Bank, ein dritter kommt vorbei, ohne zu grüßen. Einer auf der Bank meint, er habe diesem einmal das Leben gerettet. Und er fügt hinzu, er habe dies nie vergessen.
    Die Schilderungen, die Kahnweiler von seiner ersten Galerie in der Rue Vignon oder anschließend von der in der Rue d’Astorg gab, unterschieden sich grundsätzlich von der Stimmung, die sich an diesem Ort am Parc Monceau entdecken ließ. Es kam mir vor, als ob es der Galerie im Verkehr mit der Klientel eher um Entmutigung gehe. Dies zeigte sich auch im distanziert höflichen, ja kühlen Verkehr, der dort gepflegt wurde. Der Sammler wurde aufgefordert, in einem für die Präsentation von Bildern reservierten kahlen Raum Platz zu nehmen, und man führte ihm dort eine Arbeit nach der anderen vor. Dies alles erfolgte schweigend. Es gab dabei vonseiten Kahnweilers oder seiner Mitarbeiter keinen Kommentar. Um nichts auf der Welt hätten sich

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