Mein Glueck
meiner großen Schüchternheit. Bruno Manuel gehörte vor der Emigration zu den Mitarbeitern an der Weltbühne . Doch niemand hatte zu der Zeit, da ich mit ihm zu tun hatte, noch eine Vorstellung von seinen Büchern wie Der Geist der Zeit. Ziemlich ernsthafte Bemerkungen über Politik, Presse, Theater und Verschiedenes . Mich beeindruckte, dass dieser zierliche, in seinem Denken und in seiner Menschenkenntnis bis zum Zynismus abgebrühte Mann bereit war, mich Unbekannten mit der Schilderung seiner Begegnungen mit Kurt Tucholsky, Carl von Ossietzky oder Rudolf Arnheim so reich zu beschenken. Zudem spürte ich in der Unangemessenheit seiner Stellung innerhalb der Zeitung erstmals etwas vom Neid, vom schlechten Gewissen und nicht zuletzt von der Verachtung, mit der sich die Exilliteratur in der Bundesrepublik lange abzufinden hatte. Dank seiner früheren Texte und Erfahrungen wäre Manuel sicher hervorragend für die Leitung des Feuilletons dieser damals so bedeutenden Zeitung prädestiniert gewesen. Aber ihm wurden Siegfried Melchinger und Richard Biedrzynski vorgezogen, die den Übergang aus der angepassten Presse in die liberale Nachkriegszeit schmerzlos zu bewältigen wussten. Es waren brillante Köpfe, die sich mit einem Schlag völlig der rettenden Jetztzeit zugewandt hatten. Bei ihnen entdeckte ich nichts von dem, was sie in der Rückschau zutiefst quälen musste. Doch wollte ich diese sezierende und relativierende Darstellung von Vermischtem, die ich bei Manuel kennenlernte, nicht missen. Auf diesem Terrain paarten sich Wichtiges, Unwichtiges, Komik und Hoffnungslosigkeit.
Die historische Bedeutung Kahnweilers, seine Rolle für die kubistische Revolution war mir seit dem ersten Semester an der Wiener Universität bewusst geworden. Keiner hatte mich früher und nachhaltiger auf den Entdecker und streitbaren Interpreten der Avantgarde hingewiesen als mein Mitstudent und Freund Artur Rosenauer. Es war nicht gerade selbstverständlich, in Wien auf jemanden zu treffen, der sich mit dem Kubismus und mit moderner Kunst überhaupt beschäftigte. Das verriet nicht zuletzt die schmerzliche Erfahrung, die Werner Hofmann einige Jahre später mit dem neuen Museum des zwanzigsten Jahrhunderts in Wien machen musste. Die Gründung des Museums glich einer Leidensgeschichte. Im konservativen Wien stieß das Institut nicht weit vom oberen Belvedere auf Empörung. Kahnweiler erzählte mir entrüstet, wie wenige Besucher den Weg in die fabelhafte Léger-Retrospektive fanden, die Hofmann eingerichtet hatte. Ein freier, genialer Geist wie Werner Hofmann, der den Höhepunkt seiner Karriere an der Hamburger Kunsthalle erlebte, war den Menschen seiner Heimatstadt offensichtlich suspekt. Die Wiener warfen ihm vor, dass die österreichische Kunst in seinem Haus offenbar keinen Platz beanspruchen dürfe. Worauf Hofmann mutig replizierte: »Österreich hat zur Entwicklung der Malerei und Plastik unseres Jahrhunderts nur sporadisch beigetragen.« Und er fügte hinzu, dieses Haus dürfe sich keinen patriotischen Provinzialismus leisten. Die Universität lehnte ab, ihn mit einer Arbeit zum zwanzigsten Jahrhundert zu habilitieren, und auch die Albertina wünschte sich ihn später nicht als Direktor. Dahinter steckte Missgunst und Eifersucht, die mir ein anderer Wiener, der umwerfend witzige und ernste Erwin Wurm, mit einem Zitat des Kabarettisten Heinzl über die Mentalität vor Ort charakterisierte: »In Wien sind sie einem sogar den Krebs neidig.« Dass dies kein Einzelfall war, konnte ich 1964 einem Brief von Otto Benesch entnehmen, der mir mitteilte, dass Walter Koschatzky, den er selbst als Nachfolger in der Leitung der Albertina vorgeschlagen hatte, ihn auf die infamste Weise behandle: »Sein Dank besteht nun darin, dass er mich von dem bescheidenen kleinen Arbeitsplatz, den ich per Auftrag des Ministeriums für meine Forschungen innehatte, hinauswirft. Es wäre mir angenehm, wenn Sie dies Herrn Kahnweiler gelegentlich mitteilen würden.«
Die kubistischen Bilder, die wir nur aus Reproduktionen kennen konnten, hatten etwas Quälendes. Sie verlangten eine Hermeneutik, deren Fluchtpunkt auf das Rätselhafte traf. Damit stand ich erstmals vor etwas, von dem ich mich in der Folge immer aufs neue überraschen und überfallen ließ, einem Interpretationsnotstand, den man mit Hilfe einer Suche nach Kategorien und mit Hinweisen auf die Verbindung mit der Geschichte zu mindern suchte. All dies erschien uns unerhörter und aufregender als die
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