Mein Glueck
Präsentation eines Urinoirs im Museum, verstehen dürfe. Breitbach war ein hinreißender Erzähler, kritisch, böse, nachtragend. Er hatte keinerlei Hemmungen. Einmal lud er zum Mittagessen auch Violette Leduc ein, deren Roman La Bâtarde Furore in Paris machte. In seiner Tischrede lobte Breitbach, dass keine Dame wie sie das kaleidoskopartige Changieren einer erigierten »quequette« zu beschreiben vermochte. Er hatte offensichtlich richtiggehend einen Horror vor Frauen, nicht allzu gerne ließ er Paare zu sich kommen und schlug auch bei gemeinsamen Theaterbesuchen gerne vor, das »Krokodil« an der Garderobe abzugeben. Er verfügte über ein stupendes, scharfes Gedächtnis, aber vor allem über eine überwache Fähigkeit, politische, soziale und kulturelle Ereignisse zu analysieren. Wie kaum ein anderer setzte er sich für eine deutsch-französische Verständigung ein. Ich glaube, das war seine wahre Ambition, und auf diesem Gebiet hat er unendlich viel erreicht. Die Begegnungen, die er organisierte, der intellektuelle Salon, den er auf souveräne Weise in Spannung hielt, in dem auch Ernst Jünger oder Raymond Aron verkehrten, bleiben unvergesslich. Es gab keinen Smalltalk. Offensichtlich verbrachte er die Zeit damit, sich auf Begegnungen und Gespräche auf das genaueste vorzubereiten, die jüngsten Bücher der Besucher zu lesen. Dabei war er alles andere als konservativ. Soziales faszinierte, erregte ihn, er hat die Welt der Angestellten, die er übrigens aus eigener Erfahrung kannte, mit einer Empathie und Präzision dargestellt, die an die zwanghafte Kälte denken lässt, in der Kafkas Figuren ein Pensum zu erledigen haben, dessen Notwendigkeit sie zu ihrem Glück nicht durchschauen. Einige brillante Schriften wie »Bericht über Bruno« zeigen dies. Und Breitbach war zudem ein fabelhafter Stilist. Es gab kaum einen anderen deutschsprachigen Schriftsteller, der mit einer vergleichbaren Präzision den Reichtum aller Konjugationsformen einzusetzen vermochte. Ein Meister des Konjunktivs führt diesen Bruno vor, ein absolut in der Genealogie Gides und Schlumbergers agierendes zynisches Wesen, das seinen Partner in den Tod treibt.
Eines Tages, bei einem gemeinsamen Mittagessen im Hause von Jean Schlumberger, dem wohlhabenden Schriftsteller, konnte ich miterleben, mit welcher Vehemenz diese engen Freunde aneinandergerieten. Breitbach brach schließlich die Diskussion mit dem Hinweis ab, Jean habe ihn in die Nähe eines Herzinfarkts manövriert, und wir verließen den Tisch. Ständig war bei ihm von seinen Leiden die Rede. Als er mich in den frühen sechziger Jahren das erste Mal zum Lunch einlud, setzte er am Telefon hinzu, ich würde einen todkranken Menschen kennenlernen und er bitte um Schonung. Alles war an ihm und um ihn nervös, nicht zuletzt das Soufflé, das als Vorspeise, nur kurze Zeit drall, wie aufgepumpt wirkte, ehe es in sich zusammensackte. Nicht von ungefähr hat Max Ernst für eine Novelle des hypochondrischen Autors, für Clément , die 1958 publiziert wurde, eine Umschlagvignette entworfen, in der zwei stilisierte Totenköpfe zu einem labyrinthischen Ornament zusammengefügt wurden.
Breitbachs Lebensstil, den alle, die bei ihm eingeladen wurden, atemberaubend fanden, forderte zu den wildesten Spekulationen auf. Niemand wusste, woher dieses Geld stammte. Von Spionage oder unklaren Geschäften wurde gemunkelt. Ich glaube zu wissen, weil ich es einer Andeutung eines Mitglieds einer vermögenden Familie entnahm, welche Quelle und welche Passion dahinterstanden. Politiker, Schriftsteller, ein jeder, von Adorno bis Unseld und Robert Kopp, dem Spezialisten Baudelaires, von Pierre Jean Jouve oder Karl Korn, der, wie er mir nachträglich schrieb, den Gesprächen mit Breitbach über Zola sehr viele Anregungen verdankte, fühlte sich geehrt und glücklich, an seinem fabelhaften Tisch zu speisen. Er konnte sich darüber grün und blau ärgern, wenn Gäste aus Deutschland in Begeisterung darüber ausbrachen, dass es Champagner zu trinken gab. Denn die großen, sündhaft teuren Margaux oder Pomerol blieben zum Entsetzen des Gastgebers für die meisten nichts anderes als Rotweine. Er hatte alle nur verfügbaren Neuerscheinungen der Belletristik und Fachliteratur auf Tischen ausliegen, kommentierte sie, richtete über sie und verteilte die Bände unter den Gästen. Er machte ihnen auch seltene Erstausgaben zum Geschenk. Mir überreichte er den Erstdruck von Aragons Paysan de Paris , in den mir später der
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