Mein Glueck
Großzügigkeit Jacquelines unendlich viel. Sie schrieb Briefe, sandte Telegramme nach Chicago, New York sowie ans Picasso-Museum in Barcelona, um meinen Besuch anzukündigen. Doch wie immer stellte ich fest, dass Korrespondenz einen Besuch nicht ersetzen kann. Der Direktor in Cleveland, Evan H. Turner, ließ mich leicht pikiert wissen, dass alle Europäer auf der Suche nach Leihgaben das Art Institute of Chicago in ihre Reisepläne aufnähmen. Aber kein Kollege mache sich die Mühe, in Cleveland zu halten. Als ich am East Boulevard auftauchte, erwartete mich Turner bereits mit einem Drink an der Tür, und das erste Wort, das er an mich richtete, machte mich glücklich: »Dafür, dass Sie den weiten Weg auf sich genommen haben, werden wir Sie großzügig unterstützen.« Und ich muss sagen, er hielt Wort. Ich kehrte mit überwältigenden Leihgaben nach Hause zurück.
Die Lust an der Organisation von Ausstellungen hatte ich früh entdeckt. Sie begann im September 1970 mit dem Auftrag des einfallsreichen und aktiven Karl Ruhrberg, in der Kunsthalle Düsseldorf eine Werkschau von Josef Albers zusammenzutragen und zu präsentieren. In Erinnerung blieb denen, die die Ausstellung sahen, vor allem meine Inszenierung der sich über zwei Etagen erstreckenden Riesenwand in der Kunsthalle. Ich verwendete dafür eine umfangreiche Serie von »Hommage to the Square«-Bildern. Dabei setzte ich viele Gemälde so zu seiner Komposition zusammen, dass diese wiederum eine eigene monumentale Hommage to the Square bildeten. Mir war ein wenig mulmig zumute, glich das, was ich mit den Bildern von Albers veranstaltete, doch den Freiheiten, die sich das Regietheater zu nehmen begann. Aber der so strenge und kritische Albers, dem ich bei einem Besuch ein Foto der Wand zeigte, schien sichtlich davon angetan. Es komme ihm darauf an, immer neue Wirkungen hervorzubringen, deshalb gebe es auch in seinem Werk keine kodifizierte Präferenz von Farben.
Eine Retrospektive Max Ernst, bei der ich Uwe M. Schneede im Kunstverein Stuttgart unterstützen konnte, war der Albers-Ausstellung vorangegangen. Schneede und ich flogen am 22. Januar 1970 zusammen nach Stuttgart. Als ich Dorothea und Max in der Rue de Lille abholte, um nach Orly zu fahren, fragte mich eine erschütterte, entsetzte Dorothea als erstes: »Warst du gestern bei Max im Atelier?« Als ich es bejahte, fragte sie: »Und du sahst auf der Staffelei eine neue Arbeit. Was sahst du?« Ich antwortete: »Ein weißes Bild – ›Feuer im Wald‹ –, in das ein Schild mit der Aufschrift ›Feu‹ (Feuer) eingeklebt war.« Sie antwortete betroffen: »Dann hat Max dies vorausgesehen.« Denn in der Nacht sei Feuer in der Wohnung ausgebrochen. Sie sei geweckt worden, weil Max ständig durch die Wohnung rannte und Eimer mit Wasser schleppte. Sie wollte sofort die Feuerwehr alarmieren. Doch Max habe sie angefahren: »Nein, denn wenn die kommt, machen sie alles kaputt.« Es war ihm gelungen, das Feuer zu stoppen. Dann erst hatte er die Feuerwehr gerufen. Solche mysteriösen Begebenheiten gehörten zum Leben Max Ernsts. So gut wie alle seine Ausstellungen wurden von einem unerwarteten Ereignis begleitet. In Beverly Hills fiel am 10. Januar 1949 bei der Eröffnung der Ausstellung, die Bill Copley in seiner Galerie organisiert hatte, Schnee. So etwas hatte die Region seit Jahrzehnten nicht mehr erlebt. Und der Blitzschlag, der ein Jahr später mitten in der Nacht ein Transparent in Brühl, das die Ausstellung im Schloss der Heimatstadt ankündigte, zerstörte, war für viele Einwohner ein Zeichen dafür, dass dieser gottlose Künstler vom Himmel gebrandmarkt wurde. Am Tag der Eröffnung der Retrospektive im Kunstverein Stuttgart am Schlossplatz saßen wir in Uwe Schneedes Büro. Ich erzählte von den Vorfällen, die Max Ernsts Ausstellungen begleiten, berichtete von dem, was wir eben mit dem Bild »Feuer im Wald« erlebt hatten, dem nächtlichen Brand in der Wohnung. Jürgen Hohmeyer, der Max Ernst für den Spiegel interviewte, fragte, was sich der Künstler diesmal, in Stuttgart, erwarte. »Ein leichtes Erdbeben«, war die Antwort. Sie spielte heiter und ernsthaft auf ein Motiv an, das von früh an zu den geläufigsten im Werk Max Ernsts gehört, auf das »tremblement de terre fort doux«, das »überaus sanfte Erdbeben«. 1936 notierte Max Ernst in dem Text Passbild , was die Frauen über ihn sagten: »Sie vergleichen ihn gerne mit einem sanften Erdbeben, das, ohne Hast, nur leicht die Möbel verrückt, so
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