Mein Glueck
als ob es überall aufräumen wollte.« »Ein sanftes Erdbeben« – kaum war das Wort gesprochen, betrat Uwe Schneedes Sekretärin das Zimmer und berichtete aufgeregt, der Süddeutsche Rundfunk habe eben sein Programm mit der Meldung unterbrochen, ein Erdstoß habe die Tübinger Gegend heimgesucht. Und kurz danach erfuhr man zum Amüsement des pazifistischen und jedem Chauvinismus abgeneigten Künstlers, auf Burg Hohenzollern bei Hechingen sei ein Stück der Zinne vom Söller in den Hof gefallen und habe dabei eine historische Kanone zerstört. Es sind tellurische Begebenheiten, die dann und wann ihre Nähe zu Max Ernst bekunden wollen, die Nähe zum Schöpfer der Wald- und Vulkanbilder, der fabelhaften Frottagen der »Histoire Naturelle«, dieser parallelen, mit einem Augenzwinkern erdachten Naturgeschichte. Sanftes Erdbeben – dies umschreibt sicherlich die Stimmung, die Uwe Schneede und ich damals anstrebten. Die Erschütterung betraf Herkunft, Kindheit und Ausbruch aus der gewohnten Welt.
Meine Freude an Ausstellungen wuchs. In jeder Hinsicht neue Erfahrungen brachten »Max Ernst Collagen« und »Picasso – Pastelle, Zeichnungen, Aquarelle«, die ich anschließend zusammenstellte. Die begleitenden Kataloge waren wohl die ersten in der Geschichte, die riesige Auflagen brachten. An die hunderttausend Exemplare setzten die Museen und der Hatje-Verlag jeweils ab. Dafür war eine revolutionäre und psychologisch geschickte Preisgestaltung verantwortlich. Götz Adriani hatte eingeführt, für einen Katalog in der Kunsthalle Tübingen nie mehr als 29 DM zu verlangen. Das zahlte sich bei den sparsamen Schwaben aus, erhielten sie doch neben dem dicken Katalog noch eine Mark »Rausgeld«.
In dieser Zeit oder kurz zuvor erhielt ich einen Anruf von Peter Beye, dem Direktor der Staatsgalerie Stuttgart. Er sei völlig aufgeregt, denn das Ministerium habe ihn darüber informiert, Madame Picasso wolle nach Balingen reisen, um dort der Eröffnung einer Präsentation von Picasso-Keramiken beizuwohnen. Ich sagte ihm, ich könnte mir viel vorstellen, nur dies nicht. Ein Anruf bei Jacqueline führte zum gemeinsamen Lachanfall, sie hatte »Balingen« mit »Bâle«, der französischen Bezeichnung für Basel, verwechselt. Und in der Tat, »Bâle« war einer der Orte, an dem Picasso und sie selbst zeitlebens gehangen hatten. Vor allem seit die Bürgerschaft dafür votiert hatte, Arbeiten Picassos, die der Sammler Rudolf Staechelin dem Kunstmuseum ausgeliehen hatte und die nun unerwartet dem Markt übergeben werden sollten, für das Museum anzukaufen. Das Zusammensein mit Jacqueline im Haus in Mougins war stets intensiv, berührte dabei aber immer wieder auf gefährliche Weise das Spiritistische. Jacqueline war in manchen Momenten felsenfest davon überzeugt, dass der Mann, mit dem sie Jahrzehnte zusammengelebt hatte und von dem sie sich nie, nicht auch nur einen Tag, entfernen durfte, zurückkommen werde. Sie konnte ein Leben ohne Picasso nicht ertragen. Immer wieder ergriff sie meinen Arm und sagte: »Hörst du ihn?« Abends wurden die metallenen Rollläden, die das Haus von oben bis unten sicherten, heruntergelassen. Wir waren allein, eingeschlossen. Plötzlich packte sie mich einmal mehr am Arm und sagte: »Komm, jetzt töte ich dich«, und sie zog mich über die Gänge im oberen Stock mit in einen Raum, den ich zuvor noch nie betreten hatte. Er war angefüllt mit unbekannten Bildern. Und sie meinte, als sie meine Verblüffung über diese ungesehenen Schätze sah: »Hab ich dir nicht gesagt, dass ich dich umbringen werde.« Nachts lag ich im Atelier im Bett, auf dem Picasso früher seine Siesta abzuhalten pflegte. Natürlich blieb ich wach. Wie hätte ich hier auch schlafen können? Und ich hörte, wie Jacqueline, schlaflos, ruhelos die ganze Nacht den Gang auf und ab ging.
Auch die Treffen mit Bill Rubin bei Jacqueline sind unvergesslich. Picasso selbst hatte Bill rasch akzeptiert und ihm auch für das Museum großartige Geschenke überreicht, nicht zuletzt die erste Gitarre aus dem Jahre 1912. Und zwar nicht nur die Version aus Blech, auch den Entwurf, das Schnittmuster aus Karton. Louise Leiris meinte, Pablo brauche halt einen Amerikaner. Und wenn es nicht Gary Cooper mit seinem Colt sein konnte, der in Mougins auftauchte, dann eben Bill Rubin mit seiner unersättlichen Fragerei, die zumeist schon eine Antwort suggerierte. Das Haus, das Rubin nicht weit von Mougins erworben hatte, »L’Oubradou« in der Gemeinde Plan de la
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