Mein Glueck
Tour, war zu einer Art von Botschaftsgebäude des MoMa im Reiche Picassos geworden. Auch Jacqueline fühlte sich diesem Museum überaus nahe. Deshalb war sie etwas irritiert, als wir in New York zusammen die Zentenarausstellung Picasso besuchten. Es gab eine Riesenschlange. Wir gingen an ihr vorbei und wollten eintreten. Der Wächter an der Tür hielt uns an mit der Frage, wie wir dazu kämen, uns vorzudrängeln. Wir müssten zurück. Jacqueline gab zur Antwort: »Ich bin Madame Picasso.« Darauf kam die Antwort des Aufsehers: »And I’m Jesus Christ.« Im »L’Oubradou« verbrachte Bill den Sommer, ließ sich im Swimmingpool treiben zu Platten von Wagner. Die Lautsprecher waren auf maximale Lautstärke aufgedreht. Und er wartete tage-, wochenlang auf einen Anruf aus Mougins. Im Leben und im Zusammensein mit Jacqueline ging es ständig um Picasso. Einmal fragte sie mich: »Willst du die Stelle sehen, an der Bill Rubin in Tränen ausbrach?« In der Tat, dass es einen solchen Ort geben sollte, konnte man sich wirklich nicht vorstellen. Wir gingen aus dem Haus, und Jacqueline führte mich zu einem mit Efeu bewachsenen Schuppen, in dem zahlreiche bedeutende Gipse abgestellt waren. Rubin war kurz zuvor aus New York angereist, um einen davon, den Kopf des Kriegers, für das Museum of Modern Art zu erwerben. Dieser Kauf war vorgesehen und besiegelt. Doch plötzlich sagte Jacqueline zu ihm: »Nein, ich kann dir diese Arbeit nicht verkaufen.« Und meinte dann nach einer Pause, in der sie den Schrecken des erbleichten Bill ausgekostet hatte: »Ich kann den Gips wirklich nicht verkaufen, da ich ihn dir für das Museum schenken will.«
Bill wusste alles über Picasso, und er belehrte uns stundenlang. Maya Picasso, die sich wie niemand anderes aus der Familie mit dem Vater identifizierte, nannte ihn aus diesem Grunde halb spöttisch, halb eifersüchtig »Monsieur Picasso m’a dit« (»Mr Picasso hat mir erzählt«). Und in der Tat, Rubin suchte jede Behauptung, jedes Urteil mit der Erinnerung an eine wörtliche Äußerung Picassos abzusichern. Es gab zwischen uns immer wieder kleine Eifersüchteleien. Als ich die Wobe-Maske in der Sammlung von Claude Picasso entdeckte, die, nach Aussagen Kahnweilers mit ihrer Verkehrung von konvex und konkav Picasso wohl zur Gitarre angeregt hatte, wollte Bill verhindern, dass ich eine Aufnahme von dieser Maske in die überarbeitete Version meines Skulpturenbuches aufnehme. Er hatte vor, den Vergleich erstmals im Katalog der Ausstellung »›Primitivism‹ in 20th Century Art: Affinity of the Tribal and the Modern« zu publizieren. Doch ich hatte bei Claude bereits ein Polaroid von der Skulptur gemacht. Bill war ziemlich verdutzt, als er eine Abbildung in meinem Buch entdeckte. Rubins heiliger Bezirk blieb letztlich der Kubismus. Dieser war nicht nur für ihn, sondern auch für andere amerikanische Kunsthistoriker eine Fundgrube für Detailforschung, die immer wieder in die Nähe der Metaphysik rückte. Eines Tages, als ich mich mit Monique in Notre-Dame-de-Vie aufhielt, war abgemacht, dass uns Jacqueline abends ins »Moulin de Mougins«, damals das berühmteste Restaurant der Gegend, ausführe. Zuvor hatte sie Rubin für das Museum ein schwer verständliches Selbstporträt aus der letzten Phase Picassos geschenkt. Das Glücksgefühl und die Lust, das Geheimnis des Bildes gleich zu enträtseln, ließen Bill für uns alle die Entscheidung treffen, nun nicht mehr zum Essen auszugehen. Einige Kleinigkeiten am Küchentisch würden uns vollauf genügen. Ich diskutierte ausführlich mit Rubin über die lakonische Komposition und darüber, wie man dieses Bild »lesen« müsse. Warum fehlte in einem anderen späten Selbstporträt die linke Hand? Ich meinte, Picasso habe darin auf den Linkshänder Raffael, der übrigens in Wirklichkeit ein Beidhänder war, angespielt. Nachts hörten wir Bill im Nebenzimmer stundenlang mit seiner Frau Phyllis über das Bild reden, das er neben sich an die Wand gestellt hatte. Er dozierte. Wir lagen in unserem Bett, in dessen Linnen die Initialen OP und PP gestickt waren. Das blieb im Haushalt in Mougins die einzige Erinnerung an Picassos Jahre mit Olga, die zu Beginn der zwanziger Jahre ihren Mann vorübergehend zu einem bürgerlichen Lebensstil genötigt hatte. Jacqueline setzte sich dafür ein, dass Picasso nicht einfach hurtig in der unberührbaren, kalten Ewigkeit verschwinden sollte. Sie schuf ein Zeremoniell, das diesen für sie unerträglichen Tod in Frage
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