Mein Glueck
Generosität und Üppigkeit habe ich in diesen Räumen noch nie erlebt.« Ich war eben auf der Rückfahrt von einem Besuch bei Picasso und überzeugt, dass ich Chagall mit dieser Bemerkung ärgern oder aufziehen könnte. Ich fragte ihn, ob er Picasso auch noch ab und zu sehe. Die Antwort war mehr als clever. Er sagte zu mir: »Junger Mann, ich treibe mich nicht mehr wie andere Künstler in den Bars herum.« Dann kam er auf Picasso direkt zu sprechen, er lobte gönnerhaft dessen ungeheuerlichen Fleiß und meinte: »Ja, Picasso ist wie Haydn. Auch dieser hat unendlich viel produziert.« Nach einer kleinen bösen Pause fasste er sich an den Kopf und sagte, bei Picasso spiele sich alles im Hirnkasten ab. Er mache auch zu viel Graphik, um an Geld zu kommen. Und er meinte: »Picasso verhält sich zur Kunst wie jemand, der zu einem Mädchen sagt, ich liebe dich. Aber es passiert nichts.« Dann fuhr er fort: »Aber Chagall ist wie Mozart.« Mozart sei unglaublich, zum Heulen schön. Dabei legte er eine Hand ans Auge. Dann jedoch fasste er sich mit beiden Händen an sein Gemächt und verkündete, seine eigene Quelle der Kunst befände sich hier. Er sprach über andere Künstler alles andere als freundlich. Von Miró meinte er kurz und bündig, dieser sei beschränkt. Rothko dagegen habe ein wenig von Farbe verstanden. Diese Art, über andere schlecht zu reden, erlebte ich auch bei einem Abendessen in der Fondation Maeght zu Ehren von Richard Lindner. Chagall kam neben Lindner zu sitzen. Als ein jüngerer Künstler sich an Richard wandte und mit ihm eine Diskussion begann, missfiel dies Chagall so sehr, dass er laut und vernehmlich das Gespräch unterbrach und zu Lindner sagte: »It’s not an interesting person.« Richard verachtete ihn deswegen und fand ihn als Mensch grässlich. Bei meinem Besuch machte Chagall mit uns eine Tour durchs Atelier, sprach in fabelhaft einstudierter Bescheidenheit über seine Projekte und die kommenden Ausstellungen und fragte schließlich, wohin wir heute Abend zum Essen gingen. Als wir ein gutes Fischrestaurant in der Gegend nannten, sagte er betrübt, dass er sich diese teuren Speisen leider nicht mehr leisten könne. Auf meine Frage, ob er denn gar nicht mehr auswärts esse, gab er zur Antwort: »Nur wenn wir eingeladen werden.« Trotz dieser Aufforderung verzichteten wir darauf, ihn auszuführen.
»Paris–Berlin« – und New York
In den frühen sechziger Jahren begann ich regelmäßig und dann exklusiv für die Frankfurter Allgemeine Zeitung zu schreiben. Leider konnte ich deshalb nicht weiter für die Stuttgarter Zeitung und andere Blätter arbeiten. Josef Eberle war völlig aufgebracht über diese Entwicklung und stellte mich in einem Brief vor die Wahl: »Entweder bei uns oder bei der FAZ .« Auch Hellmuth Karasek warnte mich ein-, zweimal davor, den Spagat mit der Konkurrenz fortzuführen. Die Entscheidung fiel mir letztlich nicht schwer, vor allem weil mich Rolf Michaelis, der damals gerade die Stuttgarter Zeitung verlassen hatte, um die Leitung des Literaturblattes in Frankfurt zu übernehmen, aufforderte, regelmäßig Rezensionen zu schreiben. Das erste Buch, das er mir 1964 für eine Besprechung zusandte, Lucien Rebatets Les Deux Étendards ( Weder Gott noch Teufel ), packte mich. Ich las es im August, im Garten des Hauses von Jean Tardieu in Villiers-sous-Grez, am Rande der Forêt de Fontainebleau, wo gefährliche Schlangen auf warmen Steinen lauerten. Heute spricht so gut wie niemand mehr von diesem Autor, der wie Montherlant, Céline, Drieu La Rochelle oder Brasillach antisemitisch und antidemokratisch war. Tardieu, ein Mann, der auf der Seite des Widerstands stand, konnte mir einigen Anschauungsunterricht über diese Zeit vermitteln. Rebatet gehörte zu dem Häuflein, das sich in den letzten Wochen des Kriegs in Sigmaringen um Pétain geschart hatte. Wie Brasillach wurde Rebatet nach dem Krieg zum Tode verurteilt, jedoch später begnadigt. Rebatets Buch ist ein brillanter Bericht, ein Erziehungsroman, wie er in Frankreich eher selten ist und der, wie die Bücher von Leiris oder Bataille, von einem feurig-nihilistischen Nietzscheanismus geprägt wurde. Eine bessere Ouvertüre für meinen Beginn bei der FAZ hätte ich mir nicht wünschen können, da ich hier meine literarische Passion eng mit meiner Herkunft verbinden konnte. Die Lektüre brachte mich durcheinander, die Mischung aus Ehrgeiz, Zweifel, Liebe, Leib, Kasteiung und unerträglichem Hass, die sich auf eine
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