Mein Glueck
führte. Die grünen Farbspritzer auf dem hellbraunen Wildleder verwiesen auf Vauvenargues. Auf dem Boden des Ateliers im Schloss findet man dieselben grünen Spuren wie auf den Schuhen, und mit jener Farbe bedeckte der Künstler auch in Windeseile die lange weiße Wand hinter Badewanne und Bidet. Jacqueline unterstrich diese Novität in Picassos Farbwelt, indem sie vor das Strauchwerk, in dem ein sitzender Faun auf einer Panflöte bläst, grüne Gartenmöbel aus Holz und Eisen stellte. Auch diese rasche Komposition datierte der Künstler. Mit großer schwarzer Schrift markierte er »6.3.59«. Das blieb im übrigen der einzige Beitrag Picassos zur Ausschmückung des strengen Orts. Während der ganzen Zeit in Vauvenargues bezog sich Picasso nicht auf den Landschafter Cézanne. An Ort und Stelle wird einem dieser Widerstand verständlich. Wenn man aus den Fenstern des Schlosses schaut, erscheint der Berg Cézannes nie wie eine Herausforderung. Das, was Cézanne bei seinem Blick von Bibémus oder von Bellevue aus in den Vordergrund der Malerei gerückt hatte, das Mineralische, die tellurische Wucht der Verschiebungen im Massiv, die sich vom Bassin von Aix aus nicht übersehen lassen, der jähe Aufstieg zum Kamm, all dies verschwindet auf der anderen Seite, der Seite Picassos. Ein tausend Hektar großes Stück des mythischen Berges gehörte Picasso. Und er war stolz darauf, neben Bildern von Cézanne auch einen Teil von dessen Berg zu besitzen. Der Blick vom Altan auf den Höhenzug, der sich von einer Senke aus vor Vauvenargues gemächlich hochschiebt, verzahnte sich Tag für Tag mit der Monochromie des Ortes zu einem alles bedeckenden, immerwährenden Grün, das keine Jahreszeiten kannte. Alle Dramatik ist hier verschwunden. Jacqueline konnte vom Kastell aus bequem zum Gipfelkreuz hochreiten. Auf der Reise nach Vauvenargues kam die Rede darauf, dass dieses Schloss, das Picasso erworben hatte, einst einem der berühmten Moralisten des achtzehnten Jahrhunderts, Luc de Clapiers, Marquis de Vauvenargues, gehört hatte. Dies musste dem Künstler behagen. Denn es gibt keine Periode im Werk Picassos, die nicht von der Nähe zu Literatur geprägt wäre. Die Décadence des Fin de Siècle, die Dichtung der Symbolisten in Barcelona, Max Jacob und Apollinaire als Wortgeber der Blauen und Rosa Periode in Paris, die experimentellen Wortwiederholungen der Gertrude Stein, die die Stimmübungen des Kubismus begleiten, später Jean Cocteau, Paul Éluard, Ovid, Balzac, Michel Leiris oder La Celestina von Fernando de Rojas – regelmäßig sekundierte das Wort dem Werk.
Es waren vorrangig Gedichte oder sprachliche Abbreviaturen, mit denen sich Picasso beschäftigte. Das sagte er auch im Blick auf seine Bibliothek oder die Bücherstapel, die sich in seinem Rücken auftürmten. Er lese außer Zeitungen nur Poesie. Nicht zuletzt brachte dies den Künstler in den dreißiger Jahren dazu, selbst Tausende Seiten Text aufs Papier zu bringen, in dem er für seinen Anspruch an Variationsfülle eine sprachliche Entsprechung zu schaffen suchte. So dicht liegen die Varianten von Wortfolgen und Sätzen nebeneinander, dass man meinen könnte, Picasso habe, einem Computer gleich, ein Maximum an Modalitäten kombinieren wollen. Bis zur Erschöpfung unterwarf er die Formen und die Wörter einer Inquisition. Kein Wunder, dass in diesen späten Jahren, in denen sich der Spanier mehr und mehr in einen Anachoreten verwandelte, die Nähe zum misanthropischen Verfasser der Maximen erkennbar wurde, der zuvor, im Ancien Régime, über das Schloss geherrscht hatte. Ich erwähnte Jacqueline gegenüber einen meiner Eindrücke von Vauvenargues. Er drängte sich mir angesichts des abweisenden, an die Strenge des Escorial gemahnenden granitenen Mauerwerks im grünen Meer auf: »Die Einsamkeit bedeutet für den Geist das, was die Diät für den Körper bedeutet. Sie ist tödlich, wenn sie zu lange dauert, doch sie ist unerlässlich.« Picasso scheint dieser Satz nicht fremd gewesen zu sein. Wir stoßen bei ihm auf ein Bekenntnis, das eine Lehre aus dem Umgang mit Vauvenargues und mit der privaten, eigenen Sainte-Victoire zieht: »Ohne Einsamkeit kann nichts entstehen. Ich habe mir eine Einsamkeit geschaffen, die niemand ahnt.«
Dann saß man zum Picknick im fast leeren Schloss oder auf den Stufen der Freitreppe, die hinunter zum Grab führte. Auf der Rückfahrt nach Mougins machten wir auch einmal Station im Musée Granet in Aix. Dem Hause hatte Jacqueline ein
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