Mein Glueck
Revolver in der Schublade ihres Nachttisches. Doris, die Haushälterin, erzählte später, Jacqueline habe noch spät in der Nacht mit ihr gesprochen. Hätte meine Gegenwart ihren Tod verhindern können, oder brauchte Jacqueline einen Zeugen ihrer verzweifelten Tat? Das werde ich nie wissen können. Zwei Tage später wurden einige wenige Freunde zur Beerdigung ins Schloss nach Vauvenargues eingeladen. Ich flog morgens mit Michel Leiris, Jardot, Gilbert und Olga Haas, Pierre und Françoise Daix nach Marseille. In Aix trafen wir auf das Ehepaar Claude Laurens. Es war ein herrlicher Herbsttag. Um 14 Uhr 30 kamen wir in Vauvenargues an. Eine Polizeikontrolle filterte die Gäste, wies manche, wie Edward Quinn, ab. Michel Guy, Roland Dumas, Bozo, Hubert Landais und Frau, Maite Ocaña, die spanischen Freunde Gili, die Brüder Gaspar wurden zugelassen. Alles war traurig und unwirklich. In der schwarzen, rußigen Nische des Kamins stand der große Mahagonisarg im Empirestil. Draußen vor der Freitreppe hatte man den Tumulus abgetragen. »Frau mit Vase« stand am Rand neben dem Efeuband. Um 15 Uhr begann die Trauerfeier. Ein Priester, ein Freund Jacquelines, stimmte das Kyrie an und sprach von ihrer Treue. Dabei entdeckte ich nun auch das Geschenk für Pablo, das Jacqueline mir gegenüber am Telefon erwähnt hatte, Picassos weiße Terrakotta. Die weibliche Figur erinnerte an eine ägyptische Kanope. Sie hat seit der Beerdigung ihren Platz im oben leicht abgerundeten Kamin an der Stirnseite des mit großen Kieseln gepflasterten Saals nicht mehr verlassen. Hubert Landais, der frühere Direktor des Louvre und ein Vertrauter Jacquelines, den sie zwei Tage zuvor am Telefon tot wähnte, brach am Grab zusammen und schlug mit dem Kopf auf den Steinboden. Die Trauerfeier wurde unterbrochen. Doktor Gilbert Haas legte den Ohnmächtigen an den Tropf, und man transportierte ihn in einen Nebenraum, wo man ihn zwischen die Petits Fours und die Gläser, Flaschen und Fruchtsäfte auf den Tisch legte, bis er wieder zu Bewusstsein kam. Anschließend wurde der Sarg ins Grab gesenkt und mit Bleiplatten bedeckt, welche sofort mit einer blendenden Flamme miteinander verschweißt wurden. Das Schloss und Mougins sind nach Jacquelines Tod traurige Plätze geworden, Plätze, zu denen es für mich keine Rückkehr gibt.
Auf halber Strecke zwischen Mougins und Seillans liegt die Fondation Maeght, die, dank der Energie und Phantasie von Jean-Louis Prat, lange mit glanzvollen Ausstellungen prunkte. Saint-Paul-de-Vence blieb, solange sich Jean-Louis um das Haus kümmerte und seine weltweiten Beziehungen spielen ließ, ein Ort, der im Sommer den Pariser Institutionen Konkurrenz machte. In der Nähe der Fondation lebte ein Künstler, zu dem ich mich nur mäßig hingezogen fühlte. Über eine seiner Retrospektiven im Pariser Grand Palais hatte ich unter dem Titel »Die Ästhetik des blauen Ochsen« überaus kritisch geschrieben. Die späten überladenen Bilder Marc Chagalls fand ich unausstehlich. Zudem bedrückte mich, was Max Ernst über den Maler zu erzählen hatte. Als er emigrieren musste und schließlich das ersehnte Ausreisevisum erhalten sollte, wurde eine Kaution von tausend Dollar von ihm verlangt. Niemand in Marseille, wo die Emigranten auf ihre Abfahrt warteten, verfügte über eine derartige Summe. Allein Chagall saß, wie jeder wusste, auf einem dicken Geldsack. Max Ernst bat ihn, ihm den Betrag vorzuschießen, den Peggy Guggenheim nach seiner Ankunft in New York sofort zurückzahlen würde. Es war nichts zu machen. Chagall meinte, von Geld verstehe er selbst überhaupt nichts. Um solche Dinge kümmere sich ausschließlich seine Tochter Ida. Sie sei aber heute in Aix und bliebe dort zwei Tage lang. Für Max Ernst war es eine Frage von Stunden, die über Leben und Tod entschieden. Er verabschiedete sich von Chagall mit einem »Merde«. Über meinen Verleger Karl Gutbrod wurde ich später von Chagall zu einem Besuch in seinem Atelier eingeladen. Offensichtlich hatte er mir meinen Verriss in der Zeitung nicht zu übel genommen, oder aber er versuchte mich zu bändigen. Er reagierte ähnlich wie Henry Moore. Die hymnischen Kommentare auf dessen Werk in unbotmäßiger Weise unterbrechend, hatte ich einmal geschrieben: »Moore is less.« Moore schickte mir daraufhin eine Postkarte mit herzlichen Grüßen. Vava Chagall hatte aus Anlass meines Besuches zwei Kuchen backen lassen. Der überraschte Kommentar meines Freundes Karl lautete: »So eine
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