Mein Glueck
Haus. Von hier konnte er wie aus einer Sternwarte auf die Stadt blicken, die er bewunderte und hasste und der er sich nur in der Distanz zugehörig fühlen wollte. Die Entfernung erlaubte es ihm, der euphorischen Begeisterung für das Allerneueste, Blinkende den Geschmack von Patina und Vergänglichkeit hinzuzufügen. Es kam mir damals vor, als treibe er Kritik an einer Gegenwart, auf die er mit dem Abstand von dreißig Jahren zurückblickte. Das ist möglicherweise das Geheimnis seiner Wirkung: Er versetzt seine Arbeiten in einen zeitlichen Abstand, der noch im Bereich der möglichen Erlebnissphäre des Betrachters bleibt, diesem den Zugang aber nur über den Umweg der Nostalgie erlaubt. So greifbar alle Objekte bleiben, die er in seinen Installationen mixte, versetzt er sie doch mit einem quabbeligen Gelee von Verwesung. Schmutz, Patina, Antiquarisches gehen hier gegen einen sterilen, geruchlosen Fanatismus an, der Mechanisierung und Design der Städte eigen ist. Es ist verständlich, dass für David Lynch neben Francis Bacon das Werk Ed Kienholz’ zu den entscheidenden Anregungen für seine deformierende Bildwelt gehört. Auch der Maler Lynch greift in seinen Reliefbildern auf die Materialien zurück, die Kienholz für seine Horrordarstellungen heranzog, Stoffe, Objekte, Spielzeug, die er mit Polyesterharz überzieht und in eine eklige, gallertartige Distanz rückt. Eine verwirrende Nähe besteht unübersehbar zwischen Kienholz’ »Illegal Operation« und dem deformierten Baby, das Lynch für seinen Film »Eraserhead« konstruiert.
Über die Fabrikation dieses entsetzlichen Gebildes wissen wir nichts. Die Crew, die bei den Dreharbeiten mitwirkte, hat das Geheimnis um den Mechanismus der schreienden und zitternden Konstruktion nicht gelüftet. Lynch selber möchte die Herkunft der Kreatur im Dunkeln lassen. Er schuf ein Rätsel, für das es, darin vergleichbar mit Becketts Godot , auf keinen Fall eine Lösung geben sollte. Man denkt an Nietzsches erschütterndes Wort, das den Betrachter zum »Nussknacker der Seele« ausruft. Das Unbegreifliche, das sich in diesem Homunculus materialisiert, steht für die Weigerung zu interpretieren. Und auf diese Weigerung kommt es Lynch an. Er hätte an den Beginn seines Werkes kein drangsalierenderes, eklatanteres Symbol für das Unbegreifliche stellen können. Deshalb meinte er auch: »Der einzige Künstler, bei dem ich das Gefühl habe, dass er mein Bruder sein könnte, ist Franz Kafka.« Hier und dort wird mit den Mitteln der Realität Irrealität hergestellt. Es geht dabei nicht um das Phantastische und um die Produktion von Horror, sondern um eine Wirkung, zu der man ein Wort zitieren möchte, in dem Albert Camus seine Erfahrung mit der Lektüre Kafkas festgehalten hat: »Man kann sich nicht genügend wundern über diesen Mangel an Verwunderung.« Lynch fasst die eigene Suche nach Erklärung in einen ungeheuren, packenden Kommentar: »Eraserhead ist mein spirituellster Film. Eraserhead hat sich auf eine bestimmte Form gebildet, ohne mein Wissen, wie dies eigentlich vonstattenging. Ich suchte nach einem Schlüssel, der einen Zugang zu den verschiedenen Sequenzen ermöglichte. Sicher verstand ich es zum Teil, doch es war mir nicht klar, was das Ganze zusammenhielt. Also nahm ich meine Bibel und begann zu lesen. Und eines schönen Tages, stieß ich auf einen Satz. … Diese Erleuchtung war eine vollkommene. Ich denke nicht, dass ich jemals sagen werde, um welchen Satz es sich handelt.« Lynch spricht auch von der Anziehung, die Fäulnis und Verwesung auf ihn ausüben: »Ich habe nicht gerade einen Hang zu verwesenden Körpern, und doch besitzt ein sich zersetzender Körper eine unglaubliche Textur. Haben Sie schon einmal einen kleinen verwesenden Tierkörper gesehen? Ich liebe es, sie zu betrachten, ebenso wie ich es liebe, mir die Rinde eines Baumes genau anzusehen, ein kleines Insekt, eine Tasse Kaffee oder ein Stück Kuchen. Bei der näheren Betrachtung lernt man, die Feinheiten von Oberflächen schätzen zu lernen.« Das sind Zitate, die zeigen, wie stark Literatur, Kunst und Film zusammenrücken können. Auch bei den meisten der frühen Installationen und Skulpturen von Kienholz geht es um Verrätselung. Und mehr konnte einen Künstler in Kalifornien nicht von der armseligen Ewigkeit fernhalten als ihre Manifestationen in Forest Lawn. »Die Toten in seinem Kopf zu töten« ist der Befehl, den sich Joe bei Beckett von der Stimme anhören muss, die auf ihn einsticht. Der
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