Mein Glueck
starke Wirkung, die von dieser stolzen, abweisenden Prosa ausgeht. Die Autorin kennt für sich selbst kein Mitleid. Epiphanien, abgeblendet – man liest die sechsundfünfzig kurzen Prosastücke von Undine Gruenter, die jetzt wieder aufgelegt wurden, wie man die »Winterreise« hört: » Fremd bin ich eingezogen, fremd zieh’ ich wieder aus.« Einfach alles umkreist das Lied, das den Zyklus von Schubert eröffnet. Fremdheit sorgt in jeder Hinsicht für ein atemloses Erwachen aus Logik und eindeutiger Verständigung durch Sprache. In den Miniaturen verdichtet sich die Handlung zu winzigen Leuchtspuren der Offenbarung. Die Amputation der sprachlichen Varietät, die den Phantomschmerz einkalkuliert, erreicht bei dieser Schriftstellerin einen Höhepunkt. Die Pausen und Fehlstellen im Text fordern, wie in einem Sudoku, zu Kombinatorik auf. Lesen und Erleben von Literatur ist auf das Mitfühlen des Lesers angewiesen, und ich merke mehr und mehr, dass kaum eine Lektüre von Werken deutscher Autoren mich mehr bewegt als die Bücher von Undine Gruenter. Mit ihrem autoritären und kompromisslosen Vokabular, das etwas Fremdes spüren lässt, gehören sie am ehesten zur widersprüchlichen, unbequemen Welt von Peter Handke, in der ich mich im Unterschied zu vielen Nörglern und Neidern gut aufgehoben fühle. Ihre Freiheit, ihre Unabhängigkeit und ihr Recht auf Meinungen, die nicht dem Konsensus entsprechen, definieren besser als das Gängige unser Leben und seine Antinomien.
Auch mit Eduard Beaucamp verbinden mich viele Erinnerungen. Ab und zu schrieb er mir Texte für Kataloge, und er war auch sofort zur Stelle, als ich 1977 die Möglichkeit bekam, erstmals in Paris im Goethe-Institut die Graphik von Max Klinger vorzustellen. Ich meine auch, dass er, und das lässt sich von Paris aus, in der Distanz, wohl eher bewerten, innerhalb des deutschen Feuilletons die mutigsten, unkorrumpierbarsten Angriffe auf den Kunstbetrieb und die Museumspolitik wagte. Eduards Familie hatte französische Wurzeln, und er behielt eine Treue gegenüber seinen fernen Vorfahren, die mich immer wieder berührte. Fast jedes Jahr reist er nach Laon, um das Grab dieser Ahnen zu pflegen. Es waren übrigens keine Hugenotten, die über den Rhein geflüchtet waren. Die Großmutter, eine Aachenerin, hatte in der Brüsseler Gesellschaft einen Franzosen kennengelernt und war ihm nach Laon gezogen, wo er als angesehener Arzt wirkte und im Departement Aisne das Gesundheitssystem aufgebaut hat. Nach dem frühen Tod des Docteur Beaucamp zog die Großmutter nach Aachen zurück. Mit Eduard ging ich ab und zu auf Friedhöfe, die unsere Imagination auf qualvolle Weise herausforderten und deren Faszination für uns auch in einem gemeinsamen, zugegebenermaßen etwas nekrophilen Hang lag.
Doch bevor ich von einer unserer Exkursionen auf den Père Lachaise in Paris berichte, muss ich von meinen Eindrücken in Los Angeles erzählen, die ebenfalls vom Hautgoût des Todes genährt wurden. In Glendale, einem Vorort von Los Angeles, in dem die meisten Rentner der Staaten leben und warten, entdeckte ich den Friedhof Forest Lawn. In dieser Zeit verschlang ich Bücher wie Evelyn Waughs The Loved One ( Tod in Hollywood ) und erfreute mich an der makabren Heiterkeit in Jessica Mitfords Der Tod als Geschäft . Edward Kienholz hatte mich aufgefordert, die blödsinnige Selbstdarstellung der Amerikaner in Disneyworld zu ignorieren und meinen Blick bei einem Gang über diesen Friedhof auf dessen madenweiße Repliken der florentinischen Renaissance zu richten. Kienholz wohnte und arbeitete in dem Teil der Hollywood Hills, von dem aus man einen freien, meilenweit reichenden Blick auf die Stadt hat. Alles im Umfeld dieses Künstlers existierte nur im Plural. Nichts zeigte dies besser als das Badezimmer, in dem zwölf Duschköpfe an die Decke montiert waren. In der brennenden gläsernen Klarheit der Nächte liegt die pulsierende Lichterweite von Los Angeles dem Haus zu Füßen wie die überscharfe Projektion eines Planetariums. Viele Jahre später begegnete ich diesem verwirrenden Eindruck in David Lynchs »Mulholland Drive« wieder, das aus der entzündeten, schmerzhaft blinkenden Stadt eine unheimlich aufgeladene Sinnestäuschung zu machen vermag. Schon in den späten sechziger Jahren passte nichts besser zu dieser Stimmung als Bobby Vintons betäubender Song »Blue Velvet«. Als Kienholz einige Jahre vor meinem Besuch oben auf dem Hügel einzog, grasten, wie er erzählte, noch Ziegen am
Weitere Kostenlose Bücher