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Mein Glueck

Mein Glueck

Titel: Mein Glueck Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Werner Spies
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rasch wieder weggeschafft.
    Nur wenige Künstler haben so bitter und süffig mit der Mythologie Kaliforniens gespielt wie David Hockney. In seinen kalifornischen Bildern herrscht die kosmetische Garantie der Unverweslichkeit. Man konnte dies bei der Konfrontation mit der Wirklichkeit erleben. Plötzlich traf ich bei einem Besuch in ihrer Villa Fred und Marcia Weisman, die in einem Bild Hockneys steif und im Moment erstarrt im Garten neben dem großen hölzernen Totempfahl aus British Columbia stehen. Doch im kalifornischen Klischee, dem blaugrün chlorierten Swimmingpool, tritt etwas Unverwechselbares auf, das die angehaltene Zeit unterbricht. Aufspritzendes Wasser, das Nachbild eines Sprungs, revoltiert für den Bruchteil einer Sekunde schmerzhaft und ungeordnet gegen die Unbeweglichkeit. Hockney zerreißt dabei gleichzeitig die Stille und die Haut der Malerei. Bei einem meiner Besuche in dieser Stadt ließ sich eine Art von Echtzeit-Mythologie entdecken, für die überall Kulissen und Beweisstücke bereitlagen. Die Künstlichkeit machte die Eindrücke unverwechselbar und unersetzlich. Zu den stärksten Erlebnissen meiner Reisen in den amerikanischen Westen gehörten für mich die Besuche von Christos und Jeanne-Claudes »Running Fence«, ein sechs Meter hoher Vorhang, der vierzig Kilometer von der Sonne zerfressenes Weideland im nördlichen Kalifornien durchpflügte. Ich nahm am Aufbau teil und schrieb anschließend auf Wunsch von Christo und Jeanne-Claude ein Buch, in dem ich diese soziologische Auseinandersetzung mit jener kunstfremden Gegend, die von Christo christianisiert wurde, schildere. Das Band des »Running Fence«, das sich lethargisch einen Weg durch die Gegend bahnte und dabei das Profil der Landschaft nachzeichnete, endete zischend, wie ein glühendes Messer, im Ozean der Bodega Bay, an dem Ort, wo Hitchcock »Die Vögel« gedreht hatte. Ich fand es mehr als einen Zufall, dass »Running Fence« zwei Jahre nach dem phänomenalen »Autobahn« der Musikgruppe »Kraftwerk« entstand. Diese Roadmusik passt zu dem Wechsel an Stimmungen, dem der Besucher beim Erleben dieses in allen Tönen funkelnden Stoffboulevards zwischen Petaluma und dem Meer ausgesetzt war.
    Gibt es einen stärkeren Gegensatz zu Kalifornien und Forest Lawn als den Pariser Friedhof Père Lachaise? Hier wird die Vergänglichkeit nicht geleugnet. Zwischen den Karrees der Gräber und den moosbedeckten Skulpturen konnten Eduard Beaucamp und ich lange herumwandern. Einmal stieß mich der Freund an und wies wortlos auf ein riesiges Grab aus schwarzem, glänzendem Marmor. Keine Daten waren zu sehen, nur, in frischen goldenen Lettern, der Name »Spies«. Wir blieben beide wie versteinert stehen. Ich muss hinzufügen, immer wollte ich diesen Platz auf dem Friedhof wiederfinden, und nie ist es mir gelungen. Eine Art von negativem Magnetismus schien es mir zu verwehren. Diese unglaubhafte Begegnung wäre eine Szene für Bretons Nadja gewesen. Denn in diesem Buch findet das subtile Spiel, das der Surrealismus mit dem Satz vom Grunde treibt, einen Höhepunkt. Immanentes tritt mit der Stärke der Transzendenz auf. Alles kann Zeichen werden, eine Architektur, der Strahl eines Springbrunnens, ein rotes Licht, das zu einer vorausgesagten, vorausgefühlten Stunde hinter einem dunklen Fenster aufleuchtet. Und diese Mischung aus Realität und Interpretationswahn versetzte uns bei unserem Besuch im Père Lachaise in die Stimmung einer zuvor nie gefühlten Unwirklichkeit. Oben auf dem Scheitel des Friedhofs kamen wir zum Krematorium. Stufen führten hinunter. Ein uniformierter Wärter schlug vor, ihn unter die Erde zu begleiten. Er wollte uns an Ort und Stelle die Prozedur der Einäscherung erläutern. Wir hörten uns die empfindungslose, sachliche Schilderung eines Metiers an, dem es, wie jedem anderen, auf ein perfektes Produkt ankam. Man sei eben dabei, Teile von Leichen zu sortieren, die nach einem Flugzeugabsturz angeliefert worden waren. Schließlich forderte er uns auf, die Hände zu öffnen, und legte ein Häufchen mehr oder weniger grobkörniger Asche hinein. Und er kommentierte nicht ohne Stolz, mehr würde bei seiner Arbeit nicht übrigbleiben. Dann fragte er uns, weil er sich offensichtlich über unser Interesse an Details freute, aus welchem Lande wir stammten. Wir genierten uns, die richtige Antwort zu geben, und behaupteten »aus der Schweiz«. Diese Herkunft schien uns neutral genug, um allen weiteren Fragen nach dem »Meister aus

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