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Mein Glueck

Mein Glueck

Titel: Mein Glueck Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Werner Spies
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allzu sehr aufzudrängen, den Spaziergänger und riefen ihm sanft Botschaften zu. »Jesus Christ Superstar« war vorerst der letzte Oscar-Preisträger auf diesem mit Ruhm gedüngten Geviert um Hollywood Boulevard und Vine Street. Zwischen den Sexshops und finsteren Pinten lag jetzt ein »Jesus Night Club«.
    Einen ähnlichen Frieden entdeckte man auch in San Francisco, wo die Popmusik auf den Straßen klassischer Musik gewichen war: Vorübergehender Branchenführer war Haydn. Die relative Windstille des Sommers – keine Aufstände der Schwarzen, keine brennenden Slums – begünstigte die Illusion von Milde, Religion und Natur. Das griechische Theta, neu aufgetauchtes Zeichen für den Kampf gegen Umweltverschmutzung, hing in den Künstlerateliers neben dem verwelkten Peace-Symbol.
    Die Treffen mit Kienholz und seinen Freunden, die Abende über der Stadt hatten etwas Unwirkliches. Der rituelle Griff nach der Büchse, in der die hausgebackenen Haschkekse trocken gelagert wurden, schien zur Transsubstantiationslehre der Gegend zu gehören: Die Wirkung der Droge speist sich, so kam es mir vor, aus dem Akt des Nehmens. Bereits in Sausalito, beim Sonnenuntergang auf der Terrasse von Bekannten, hatte sich dies angekündigt. Vorausgegangen war ein Konzert von Herb Alpert, bei dem dieser auf der Trompete »Tijuana Taxi«, »Going Places« und »A Taste of Honey« gespielt hatte, und ich wusste wirklich nicht, woher das berauschende Lebensgefühl kam, von den Cookies, der Kameradschaft, dem blinkenden Prunk der Lichterkette San Franciscos und der Golden Gate Bridge oder von der mit allem vernetzten Entdeckung einer zuvor nie gefühlten Daseinsfreude, die, wie ich fand, jenseits aller Vorstellung von Dauer lag. Der Tod erschien einem vorübergehend als revidierbare, erlebbare Illusion. Man spürte bei den Exkursionen in Los Angeles, die von einem Tatort zum anderen führten, die Faszination durch einen doppelten Tod, den Filmtod und den hochkarätigen, heute würde man sagen, den echten, den Biotod. Es war eine Stimmung, die außer Warhol kein amerikanischer Künstler auf so perfekte Weise wiedergegeben hat. Er verfügte über eine Erkenntnis, die allein Verfremdung und scheinbar unbeteiligtes Danebenstehen ermöglichen können. Kein anderer hatte das, was sich in Forest Lawn erleben ließ, die gefälschte Ewigkeit, die Ewigkeit ohne Verfall und Verwesung, zu einem derartigen Orgasmus gesteigert. Da ich nicht Auto fahren kann, ging ich lange Stunden auf dem Areal spazieren. Immer wieder wurde ich gefragt, ob mein Wagen eine Panne habe, auch die Polizei griff mich zweimal auf und wollte Auskunft darüber, warum ich hier zu Fuß gehe. Auf dem riesigen Friedhof entdeckte ich Totenhäuser im Tudorstil, den Kleinkinder- und Wiegenliederhain, in den Boutiquen teuren Balsam und am Schluss Schlummerräume, an deren Eingang eine makellose, widerliche weibliche Stimme den Besucher anzirzt: »Beschützen Sie jetzt Ihre Familie durch ein Grabarrangement, das schenkt Ihnen einen Seelenfrieden, den Sie auf keine andere Weise gewinnen können.« Was ich dabei empfand, brachte mich auf einen der ungeheuersten Filme, die man in den frühen siebziger Jahren in den USA entdecken konnte, Richard Fleischers »Soylent Green«, in dem Edward G. Robinson in einer Euthanasieklinik von einer strahlenden Nurse den tödlichen Becher kredenzt bekommt. An die Wand, auf die der Sterbende zugeht, wird für seinen brechenden Blick zum Abschied ein Film projiziert, in dem sich Gazellen in Zeitlupe durch eine herrliche Natur bewegen, die es in der Zukunft, in der »Soylent Green« spielt, schon lange nicht mehr gibt. In Forest Lawn konnte ich die erschreckendste Leichenmystifikation der Welt entdecken. Dieser Todeskult erreicht oben auf dem Hügel im Festspielhaus des Todes, in der Auferstehungshalle, seine Klimax. Das lächelnde, parfümierte Inferno, die Traumfabrik kühnsten pornoeschatologischen Kitsches, den Forest Lawn bietet, ist sicher der nihilistischste Ausdruck einer ganzen Zivilisation. Es ist ein Ort der totalen Pflege. Mit allen Tricks wird der Tod geleugnet, schon mit dem für eine Zivilisation wie der kalifornischen absurdesten Gebot: dem Verbot des Künstlichen. Keine Gebinde aus Kunstblumen sind erlaubt, nur echte, richtig obszön aufgequollene und fett gewachsene Blüten mit schwerem Duft. Sogar die natürlichen Blumen erscheinen in diesem extraterritorialen Landstrich künstlich genug: Sie dürfen nur kurz blühen und werden noch im Blühen

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