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Mein Glueck

Mein Glueck

Titel: Mein Glueck Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Werner Spies
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Deutschland« zu entkommen. Anschließend wuschen wir uns endlos lange die Hände.
    Nathalie Sarraute machte mich erstmals auf beide aufmerksam. Ich sage bewusst auf beide, nämlich auf Louis Aragon und Elsa Triolet. Sie erschienen in der Öffentlichkeit fast ausschließlich als Paar, das wunderbar seine Rolle spielte. Mir kamen sie vor wie eine Art Gilbert & George. Wir saßen im Parkett des Théâtre de l’Odéon bei der Uraufführung von Jean Genets Les Paravents ( Die Wände ) am 16. April 1966. In der Pause traf ich Beckett, der mit leichtem Winken das Theater verließ. Aragons und Elsa Triolets Œuvres romanesques croisées waren zwei Jahre zuvor erschienen. Solange der Saal erleuchtet war, kreuzten die beiden in einstudierter symmetrischer Harmonie ihre Arme. Nathalie meinte, es gebe keine bessere Reklamepose. Ich vergesse nie den harten, brennenden Blick Elsas. Er erinnerte mich an den von Gala, die ich ab und zu im New Yorker »Hotel St. Regis« inmitten einer mit Grünpflanzen vollgestellten Suite oder in Paris im »Hôtel Le Meurice« traf, wenn sich Dalí im Spätherbst in der Stadt aufhielt. Er kam, um Ortolane zu verspeisen, und er schilderte seinen Gästen, wie exquisit und angenehm das Geräusch sei, wenn man das zierliche Köpfchen einer Fettschnepfe zerbeiße. Oder er hielt im Hotel Hof, um die Pralinenschachtel für das Buch Dalí de Draeger vorzustellen, die einer Truhe mit vergoldeten Testikeln glich. Sobald im Theater das Licht erlosch, trennten sich ruckartig, wie befreit die Leiber von Aragon und Elsa. Und ebenso schnell fanden sie wieder zusammen, wenn der Vorhang fiel. Nach dem Tode Elsas 1970 schlug Max Ernst vor, Aragon einen Besuch abzustatten. Wir gingen in die Rue de Varenne Nr. 56, im Faubourg Saint-Germain. Dort lebte er im »Hôtel de Gouffier«, einem etwas heruntergekommenen Louis-Quinze-Domizil, das wie viele Stadthäuser in diesem Quartier dem französischen Staat gehörte. Ein mit Voluten und Schleifen dekoriertes metallenes Geländer, das ein Foto von Atget einmal in eine seltsam kreatürliche Komposition verwandelt hat, begleitete uns nach oben. Kaum waren wir mit dem neu eingebauten Sitzfahrstuhl aus der Beletage im Mansardengeschoss angekommen, schimpfte Aragon ziemlich erregt: »Stellen Sie sich vor, eine Zeitlang kam Chirac jeden Morgen in den Hof herein und parlierte mit der Concierge. Er hatte es auf meine Wohnung abgesehen. Doch Pompidou hat testamentarisch verfügt, dass mich hier niemand auf die Straße setzen darf.«
    Dies blieb bei ihm ein Dauerthema. Es verging kein Besuch, bei dem er diesen Affront nicht erwähnt hätte. Die Erklärung, die er mir dafür gab, lautete: »Ich verbringe mein Leben damit, anderen auf die Nerven zu gehen.« Am Aufgang zu seiner Etage hockte ein fleischfarbener Gipsguss des »Jungen Fischers « von Jean-Baptiste Carpeaux, der sich staunend-lächelnd eine große Muschel ans Ohr presst. Aragon empfing uns in einem Rollstuhl, beide Beine waren eingegipst. Einige Wochen zuvor war er bei einer seiner nächtlichen Touren vor dem »Maxim« von einem Auto angefahren worden. Nach dem Tode von Elsa Triolet hatte er – das war ein offenes und in Paris hämisch kolportiertes Geheimnis – zum Kult des Seltenen und zu seinen homosexuellen Vorlieben zurückgefunden. Von einem Tag auf den anderen wurde aus ihm der nächtliche » Paysan de Paris« . Man konnte ihm zu später Stunde im flatternden Cape und mit schwarzem, breitkrempigem Schlapphut in der Umgebung von Saint-Germain-des-Prés begegnen. Auch sein inzwischen kritischer Biograph Pierre Daix rückte diese aufgefrischte Lebensgier in einer kritischen Passage seines Buchs in den Vordergrund: Aragons vestimentärer Snobismus, den Elsa lange zensiert hatte, habe die Exzentrik der von Yves Saint Laurent seit 1970 entwickelten Herrenmode. Bei einem Lunch, wenige Wochen nach dem gemeinsamen Besuch mit Max Ernst, erklärte er mir, er sei froh, erstmals wieder mit jemandem Französisch zu sprechen, nachdem Elsa ihn immer zum Russischen gezwungen habe. Für unser Mittagessen hatte er sich sorgfältig in eine grauschimmernde Perle verwandelt. Vom weißen Haar, dem Oberlippenbärtchen bis zu den grauen Lackschuhen, alles war gestufte Grisaille. Das Gesicht richtete er stets so aus, dass der Blick seines Gegenübers nur auf sein Lieblingsprofil fiel. Um seinen Hals baumelte an einer Kette eine goldene Remontoiruhr. Er verabschiedete im Salon nebenan einen Mann vom französischen Fernsehen, der ihm

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