Mein Glueck
collagenhafte Nebeneinanderstellen. Dieses Spiel mit Bildern, das das Entlegenste dem Fremden zu entziehen vermochte, sei ihm beim ersten Blick auf Max Ernsts Collagen aufgefallen. In seinen späteren Romanen habe er versucht, so etwas wie literarische Collagen hervorzubringen. An den Nahtstellen der Sätze taucht das Groteske, Sarkastische, Verblüffende auf. Dies erinnert an die Streifzüge aus der Frühzeit, an jenen Aragon, der zu den einzigartigen Designern einer zeitgenössischen Sensibilität gehört. Von daher stammt seine Fähigkeit, die Welt förmlich anzusaugen, die Simultaneität und Gleichrangigkeit aller Empfindungen, die sich an Menschen und mehr noch an Dinge ketten, auf eine völlig neue Weise zu feiern. Dies gelang ihm, indem er an die Stelle der Psychologisierung von Welt deren Objekthaftigkeit setzte. Damit umgab er das Banalste mit einer Aura von verwirrender Fremdheit. Eine Doppelbödigkeit tut sich dadurch auf, die er später, in seinen mit mehr schulmeisterlichem Brio geschriebenen Romanen, nicht mehr erreichen sollte. Erst der Nouveau Roman nimmt diese surrealistische Ablehnung der ungebrochenen Erzählung wieder auf – zu einer Zeit, als Aragon selbst, noch halb betäubt, seine Maxime von der beschreibenden Allwissenheit des wissenschaftlichen Schriftstellers abzuschütteln versuchte. Welchen Aragon soll oder darf man sich herausgreifen? Den unvergleichlichen, zornigen jungen Mann der frühen zwanziger Jahre, dem man das Wort des später an der Aporie des Parteikommunismus zerbrochenen Paul Nizan aus Aden, Arabie wie ein Trikot überstreifen kann: »Ich war zwanzig Jahre alt, ich erlaube niemandem zu sagen, dass dies die schönste Zeit des Lebens ist.« Oder den Aragon, der durch die Freundschaft mit Breton den stärksten Impuls der Zeit empfing und weitergab? Oder den Durchhaltekommunisten, der die Moskauer Prozesse und die Ent- und Restalinisierungen mit verblüffender Kasuistik ertrug? Oder kann man Aragon – wie es Pierre Daix, einer seiner informiertesten Biographen, darlegt – vor allem als Kommunisten und als solchen mit einem psychoanalytischen Allerweltmittel erfassen, als einen Mann, der auf ständiger Suche nach Familie den surrealistischen Freundeskreis und dann die »Mutter« Partei fand? Aragon wehrte sich im Gespräch gegen solche Deutungen, die ihn in seinen Augen reduzierten, und meinte: »Dieses Psychologisieren meiner Kindheit entspringt einzig und allein dem Hirn des armen Pierre Daix.« Und in einem Gespräch fügte er hinzu: »Ich war kein unglückliches Kind. Ich durchschaute das Spiel und wusste, dass der Vormund, übrigens ein zynischer Voltairianer, den ich mit meiner Mutter-Schwester an schulfreien Donnerstagen im Bois de Boulogne traf, mein Erzeuger war. Ich wollte dieses Spiel. Es passte in meine frühe Ahnung von Mythos und von Mystifikation. Ich las ja nicht umsonst mit Begeisterung Dickens und etwas später Fantômas. Ich durchlebte selbst einen trivialen Roman.« Welche Irritation ging von diesem Mann aus! Er paradierte und monologisierte stundenlang, die Beine über die Armlehne einer Ottomane geworfen. Im Takt der Rede setzte er sich auf und ließ sich dann wieder auf den Rücken fallen, über Bonmots lachend. Man konnte manchmal nur halb hinhören, zu stark waren die Kommentare über Aragon, an die man sich bei seinem Anblick erinnerte. So etwa Bretons Worte: »Aragon hat wirklich alles gelesen«, oder die von Georges Limbour, in denen von Aragons diabolischem Gedächtnis die Rede ist. Und doch schien alles, was er mir damals erzählte, irgendwie das Sakrileg zu suchen. Er kehrte in die Jahre vor Elsa zurück, kredenzte Details, die ihn zu dem machen sollten, was er mit jeder Faser seiner Sinnlichkeit und seiner verführbaren Intelligenz auch darzustellen vermochte, zum Libertin. Wo er konnte, datierte er die Frühzeit mit Hilfe von bestimmten Ausschweifungen. Hier traf man auf den Aragon der ersten Schriften, denjenigen, der den Bericht ständig verwarf und sich weniger um die durchgehende Erzählung als um das Detail in Großaufnahme scherte. Mit der Schlagfertigkeit des »Wahrlügners« wusste er all diese Erinnerungen vergrößert, wie unter einer Lupe, wieder hervorzuholen. Unter den Briefen und Manuskripten, die auf seine Weisung hin zu seinen Lebzeiten unter Verschluss bleiben sollten, findet sich – zu Beginn der zwanziger Jahre notiert – ein Satz, den er mir damals nach dem Mittagessen preisgab: »Die Lust zu verführen hat mich verdorben.
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