Mein Glueck
– der nach einem klar erkennbaren und definierten Logo Ausschau hält –, das Risiko einzuführen. Es gibt nur wenige Werke, die dies wagen und vermögen. Neben Picasso lässt sich Max Ernst nennen, der sich, wie Picasso, durch den ständigen Bruch mit der Erwartungshaltung des Publikums, vom allgemeinen Geschmack abzusetzen versuchte. Der Titel eines Werkes von Max Ernst bezeichnet prägnant, dass auch er keine bürgerliche Ruhe, sondern schwindelerregende Verunsicherung erreichen wollte: »Jeune homme intrigué par le vol d’une mouche non-euclidienne.«
Es gibt viele geniale, schwierige, eindrucksvolle Menschen, denen ich begegnete und mit denen ich zu tun hatte. Von einigen war schon ausführlich die Rede. Zu denen, die mich nachhaltig beeindruckt haben, zählt auch Richard Lindner. Ich lernte ihn 1968 kennen, als ich mit dem »documenta«-Rat unter Arnold Bode zusammenarbeiten durfte. Während eines Aufenthaltes in New York rief ich den Künstler an. Es meldete sich eine Frauenstimme, die mich in unangenehm abweisendem Ton fragte, was ich wollte und unter welcher Nummer sie mich zurückrufen könne. Ich sagte mir, um Himmels willen, wenn diese Dame zur Umgebung von Richard Lindner gehört, zu den Dominas, die ihn in seinen Bildern so stark beschäftigen, dann lasse ich eher die Finger von einer Begegnung. Am nächsten Tag erzählte ich einem amerikanischen Freund diese Geschichte. Er brach in lautes Lachen aus und erklärte mir, dass ich auf den »answering service« gestoßen sei. Ich hatte mit einer Dame gesprochen, die, neben hundert anderen, auch für die Nummer von Lindner zuständig war. Und er meinte, Richard sei der feinste, witzigste und freundlichste Mensch, den man in New York treffen könne. Das stimmte mit dem überein, was ich von Marcel Duchamp, Hermann Kesten, Christo, Bill Rubin, Arnold Newman oder Andy Warhol über Lindner gehört hatte. Ich rief wieder an. Er war selbst am Apparat, und sofort wurde, noch für denselben Tag, ein Abendessen an der Second Avenue vereinbart. Ich holte ihn in der 69. Straße, Nr. 333 ab. Dort wohnten auch Claude Picasso, der sich damals als Fotograf durchs Leben schlug, und Isamu Noguchi, mit dem sich Richard immer wieder austauschte. Außerdem lebte im selben Haus Haide Russell, die in New York als Kulturreferentin beim deutschen Generalkonsulat und später als Kulturattaché in Washington Wunder bewirkte. Ihr ist es zu verdanken, wenn nach und nach wieder Kontakte zwischen der Bundesrepublik und Emigranten in den USA möglich wurden. Ich traf sie häufig mit der großartigen Sabina Lietzmann, der Schwägerin Karl Korns, die für die Frankfurter Allgemeine Zeitung schrieb. Sie lebte nicht weit vom Washington Square in der Nähe des Broadway im Souterrain eines Townhouse mit Gärtchen und Vögeln. Und als Zugabe hatte sie als Nachbarin Joan Sutherland, die stundenlang Vokalisen zu singen pflegte.
Richard Lindner und Werner Spies
Lindner begrüßte mich mit einem der Sätze, die für ihn typisch waren: »Heute ist Montag, für mich ein widerlicher Tag, ein halber Sonntag, aber ein ekelhafter Werktag.« Immerhin hat er dieser Abneigung ein wunderbares Portfolio mit dem Titel »Monday« gewidmet. Richard gehörte neben John Lefebre, dem Galeristen von Alechinsky und der Gruppe Cobra, der über einen melancholischen Schatz an europäischer Erinnerung verfügte, schnell zu den Freunden in New York, bei denen ich mich, vom Jetlag früh geweckt, schon gegen 6 Uhr morgens melden durfte. Oft aßen wir zusammen, bei » Oscar’s « in der Central Station oder in den Restaurants der Siebziger- und Achtziger-Straßen, in denen noch etwas von der deftigen mitteleuropäischen Küche, von Pastrami, Salzgurken, Kümmel, Krautsalat, Saucen und Knödeln weiterlebte. Lindner liebte vor allem das Einfache, Sättigende, er nannte es »das Gefängnisessen, das Soldatenessen«. Er kommentierte alles auf sehr persönliche, pointierte Art, seinen Umgang mit den Marx Brothers, mit den beiden Brüdern Mann, über die er dezidiert urteilte: »Heinrich Mann ist der begabtere, der andere sprach nur besser Deutsch.« Er brachte mich, kurz nachdem ich ihn kennengelernt hatte, auch mit Christo zusammen.
Christo und Jeanne-Claude zählten rasch zu den engsten Freunden. Bei jedem Aufenthalt in New York war ich mit ihnen zusammen, und ich konnte das Entstehen vieler monumentaler Projekte mitverfolgen und darüber Bücher oder Aufsätze schreiben. Wie oft bin ich die steile Treppe in der
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