Mein Glueck
Christo-Zeit stammten. Man tat sich zunächst schwer mit diesem Entschluss, und ein großer Teil der Kunstwelt schüttelte den Kopf. Unübersehbar hatten die jüngsten Vorbilder einer derartigen Liaison, die Oldenburgs mit Coosje van Bruggen oder die von Kienholz mit Nancy Reddin, allen vor Augen geführt, dass diese Art der künstlerischen Addition letztlich zu einer morganatischen Schwächung führen musste. Es erschien einem, als würden es Christo und Jeanne-Claude – wie die in Hitchcocks »The 39 Steps« mit Handschellen aneinandergeketteten Robert Donat und Madeleine Carroll – schwer haben, den Verächtern und Verfolgern zu entkommen. Doch es ging Christo um einen retrospektiven Akt der Gerechtigkeit. Die Entscheidung, Jeanne-Claude einen wichtigen und sichtbaren Part im schöpferischen Bereich zuzugestehen, fiel in eine Zeit, in der die Unterscheidung zwischen Konzept und Materialisierung obsolet geworden war. Letztlich führte diese Regelung auch dazu, den allgemeinen Blick auf die große strategische und logistische Leistung zu lenken, für die die Stieftochter des französischen Generals Jacques de Guillebon geradezu prädestiniert war. Dank ihrer Zähigkeit kam es nie in Frage, einen Sponsor zu akzeptieren oder Auftragsarbeiten anzunehmen. Ich erinnere mich an einen Anruf aus Japan, in dem ein Unternehmen die beiden dazu verlocken wollte, den Firmennamen auf ihren Arbeiten erscheinen zu lassen. Sie boten dafür Millionen von Dollars. Doch Christo und Jeanne-Claude bestanden auf ihrer Autonomie und Unabhängigkeit. Die Rollen, die sie sich in vollem Einverständnis einander zubilligten, blieben klar voneinander getrennt. Die Symbiose zwischen Christo und Jeanne-Claude fand 2009 ein jähes Ende, als Jeanne-Claude plötzlich starb. Ihre Erscheinung bleibt unvergesslich. Karminrote Lippen, das toupierte Haar tizianfarben, ein leicht verruchtes Aussehen – man hätte Jeanne-Claude für ein Double des Porträts halten können, das Otto Dix in den zwanziger Jahren von der exzentrischen Anita Berber angefertigt hat. Die französische Generalstochter verfügte über eine starke Persönlichkeit, die manche nur schwer zu ertragen vermochten. Spitz, feurig im Argumentieren, manchmal bewusst undiplomatisch, erschien sie als Gegenbild zu Christos sanfter Gewalt, die schon immer alle in ihren Bann gezogen hatte. Sie gehörten zusammen. Alles sprach für eine Art Doppelköpfigkeit. Nicht zuletzt die Tatsache, dass beide am selben Tag, am 13. Juni 1935 , geboren wurden. Christo Wladimirow Jawaschew im bulgarischen Gabrowo und Jeanne-Claude Denat de Guillebon in Casablanca. Jeanne-Claudes Vater, der General und Weggefährte von de Gaulle selbst, war alles andere als erfreut, als Ende der fünfziger Jahre Christos Charme in die großbürgerliche Familie einfiel und nach der Gemahlin auch die zwei Töchter verzauberte. Vergeblich suchte er den Bulgaren über die Grenze schaffen zu lassen. Mit der Zeit kam es zu einem Waffenstillstand. Vor allem wohl auch deshalb, weil der General in diesen Friedenszeiten als einer der Kommandeure der Truppen Christos seine strategischen Ambitionen auf dem Gebiet der Planspiele befriedigen durfte. Es bleibt mir unvergesslich, mit welchem Enthusiasmus der große Krieger in der delikaten Endphase von »Running Fence« selbst Hand anlegte und mithalf, das weiße Band aus Stoff in den Ozean eintauchen und verschwinden zu lassen. Auch bei »Surrounded Islands« in Miami durfte der Stratege mitspielen. Vielleicht verlockte die aufreizend sensuelle Sequenz dieser mit Gestrüpp behaarten, von fleischigem Rosarot umgebenen Inseln den General dazu, morgens beim Frühstück im Tropical-Deco-Distrikt in Miami unter seiner Zeitung ein pornographisches Heftchen versteckt zu halten. Die Mobilisierung durch den Schwiegersohn führte dazu, dass mir der General einmal das hohe Lob Christos sang. Wir saßen im weiten Appartement am Pariser Parc Monceau. Hinter uns an den Wänden hingen Collagen Christos. Doch ließ man den Blick weiterwandern, so begegnete man einem dem Krieger Guillebon von de Gaulle gewidmeten Foto, Louis-Quinze-Möbeln und Nippsachen sowie einer Sammlung niederländischer und französischer Kleinmeister des siebzehnten und achtzehnten Jahrhunderts. Angesichts dieser befriedeten Zone meinte der General, er schätze Christo wegen seines unerhörten kämpferischen Einsatzes ungemein. »Militairement« sei er völlig mit seiner Kunst einverstanden.
Über Richard Lindner lernte ich auch Mark
Weitere Kostenlose Bücher