Mein Glueck
unauslöschlicher Erinnerung sind mir ein Empfang und ein Abendessen in Clarence House in London geblieben, zu dem uns dank Clarissa und Jürgen Pierburg vor wenigen Jahren Prince Charles und Camilla, Duchess of Cornwall , eingeladen hatten. Als ich His Highness vorgestellt wurde, meinte der Prinz, ich hätte doch Picasso gut gekannt und mich mit ihm lange auseinandergesetzt, und fragte mich: »Können Sie mir erklären, warum dieser Maler, der doch sehr begabt war, so abstoßende Bilder machen musste?« Ich war in einem Erklärungsnotstand, der sich beim Abendessen, während dem hinter meinem Rücken eine blonde lymphatische Harfenistin ununterbrochen ihre Glissandi zupfte, fortsetzte. Meine Tischnachbarin, Mrs Forbes, und ich suchten herauszufinden, ob das Bioessen, das uns serviert wurde, dem Fischteich des Prinzen oder dessen Hühnerzucht entstammte. Auch auf diese Frage gab es keine Antwort.
Einige Jahre vor dem April 1973 , als Picasso starb, war ein Buch von Esther Vilar erschienen, dessen Botschaft Der Sommer nach dem Tod von Picasso, ein Spiel man bestürzt verdrängte. Man konnte und wollte sich eine derartige Zeit nicht vorstellen. Doch nach dem Tod setzte unmittelbar die Demontage ein. Der Sammler und Kunsthistoriker Douglas Cooper machte den Anfang. Zu Lebzeiten Picassos war er ein devoter Freund gewesen. Und er profitierte auch offensichtlich von dieser Freundschaft. Aber wenige Wochen nach dem 8. April 1973 äußerte sich Cooper über die Ausstellung der zweihundert letzten Bilder Picassos, die im Papstpalast in Avignon zu sehen waren, mit äußerst schmähenden Worten. Er sprach von den »unzusammenhängenden Schmierereien eines besessenen Greises aus dem Vorzimmer des Todes«. Picasso habe als Maler während der letzten zehn Jahre nichts Entscheidendes mehr zustande gebracht. Ich erinnere mich, wie ich beim Besuch der Ausstellung in Avignon im Juni 1973 Zeuge einer komischen Szene wurde. Der Fremdenführer, der die Massen durch den Papstpalast schleuste, meinte, in der Kapelle angekommen, in der die Bilder Picassos hingen: »Hier befinden Sie sich im einzigen Raum des Palasts, in dem es keine Malerei gibt.« Normalerweise hing in der gotischen Kapelle tatsächlich nichts an der Wand. Dem Touristen, der nicht auf die wilden Werke Picassos vorbereitet war, erschien dieser Ausspruch deshalb keineswegs als Lapsus. Er nahm ihn für ein Urteil. Die Popularität Picassos, oder vielmehr eben deren Grenze, ließ sich in den Augen der Vorbeiziehenden ablesen. Man spürte den Schrecken, dem Mythos, der weitgehend ein biographischer geworden war, auf so ungeschminkte Weise zu begegnen.
Es gab nur wenige, die den Meister von Mougins noch wahrnahmen. Im großen und ganzen wiederholten derartige Vorwürfe das, was andere Spätwerke in ihrer Zeit auch auszuhalten hatten. Denken wir an Vasaris Urteil über Tizian. »… wohlgetan wäre indes gewesen, wenn er in seinen letzten Jahren nur zum Zeitvertreib gemalt hätte, um nicht durch minder vorzügliche Werke den Ruf besserer Jahre zu schmälern, wo er noch nicht durch Abnahme der Kräfte Unvollkommeneres leistete.« Gegen solch rechthaberische Positionen kann man mit einem Wort von Nietzsche zu Felde ziehen. Der Philosoph setzte sich darin gegen die Angriffe auf den alten Goethe zur Wehr: »Über Goethe hat uns neuerdings jemand belehren wollen, dass er mit seinen zweiundachtzig Jahren sich ausgelebt habe: Und doch würde ich gern ein paar Jahre des ›ausgelebten‹ Goethe gegen ganze Wagen voll frischer hochmoderner Lebensläufe einhandeln, um noch einen Anteil an solchen Gesprächen zu haben, wie sie Goethe mit Eckermann führte, und um auf diese Weise vor allen zeitgemäßen Belehrungen durch die Legionäre des Augenblicks bewahrt zu bleiben.«
Das Spätwerk Picassos forderte heraus, denn expressiver, farblich ungestümer, ja, das kann man sagen, ungefälliger hatte sich der Maler noch nie präsentiert. Picasso wusste, dass er mit seinen Arbeiten aus der Zeit in Mougins sein Publikum vor eine ungewöhnliche Herausforderung stellte. Und er verfolgte die abfälligen und kritischen Äußerungen in der Presse ziemlich irritiert. Ich erinnere mich an den Zorn, der ihn ergriff, als er mich nach den Reaktionen der Besucher in den jüngsten Ausstellungen in der Galerie Louise Leiris befragte. Dort wurden immer die neuesten Werke vorgestellt. Vor allem als ich ihm von dem Vorwurf berichtete, Picasso könne nicht mehr mit ruhiger Hand zeichnen, fühlte er sich
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