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Mein Glueck

Mein Glueck

Titel: Mein Glueck Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Werner Spies
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Howard Street hinaufgeklettert. Die Gegend um Canal Street, wo auch der Bildhauer John Bennett und seine reizende Frau Gabi lebten, galt in den sechziger Jahren keineswegs als ein empfehlenswertes Quartier, und der Busfahrer, der mich an einer Ecke mit schwarzen, kaum beleuchteten Häusern aussteigen ließ, gab mir die Warnung mit: »Take care, you can be murdered here.« Der Bücherberg im Wohnzimmer, der die Projekte von Christo und Jeanne-Claude dokumentierte, wurde im Laufe der Jahre höher und höher. Unendlich viel Erinnerung lag aus, Erinnerung an ungezählte Kämpfe, an eine sagenhafte Erfolgsgeschichte, an die Riesenwurst in Kassel, an »Valley Curtain«, an »Running Fence«, an »Surrounded Islands«, an den »Pont Neuf«, an den »Reichstag«, an »Gates«. Die Geschlossenheit der Nachbilder verdankt vieles dem von den Künstlern autorisierten Auge, dem Fotografen Wolfgang Volz. Gäbe es nicht die Zeugen, die Fotografien und die Filmaufzeichnungen, Dokumente einer bestechenden, unvergesslichen Fata Morgana, könnte man an der Realität von alldem zweifeln.
    Diese Taten geben dem Werk Christos seine Golddeckung, unterscheiden es von der fiktionalen Welt, die am Bildschirm oder am Schneidetisch entsteht. Am ehesten kann ich diese Welt Christos, diesen Aufwand, der sofort wieder aus der Realität gelöscht wird, mit dem Vorgehen von Thomas Demand vergleichen, der in seinen Fotografien von einer handgemachten, aus Papier und Karton geschnittenen Realität ausgeht, und zwar einer, die streng die Proportionen von Räumen und Objekten einhält. Der Maßstab eins zu eins, an dem er für die fragilen Kopien festhält, ist in Demands Augen entscheidend. Er will keine Puppenstuben. Deshalb entzieht sich seine Arbeit letztlich auch Jean Baudrillards Konzept der Simulation. In allen Fotoarbeiten Demands entdecken wir Darstellungen, die zuletzt irritieren, weil sie meilenweit vom ausgefuchsten Spiel von Computeranimationen entfernt bleiben. Denn solche möchte man doch auf den ersten und den zweiten Blick hinter dem Werk vermuten. Das Wissen um sein absolut trickfreies Vorgehen verführt und enttäuscht uns gleichzeitig. So ging es mir, als ich erstmals, eingeführt von Niklas Maak, in Demands Atelier neben dem Hamburger Bahnhof eintreten konnte. Die Streifzüge zusammen mit Niklas gehören zum Aufregendsten, was ich erleben durfte. Durch ihn lernte ich in Berlin die Hinterhöfe, junge Galeristen und Galeristinnen, den Bunker von Christian Boros, Daniel Richter oder Olafur Eliasson kennen. Und nicht zuletzt die neue Architektur und ihren soziologischen Hintergrund. Es kam mir vor, als ob ich mich selbst, mit vierzig Jahren Verspätung, in Paris wiedererleben würde. Auch Freunde aus Paris, wie beispielsweise Jack Lang, brachte ich mit dem jungen Kollegen zusammen, der zudem hervorragend Französisch spricht. Und auch sie waren beglückt darüber, wie dieser sie in ein Berlin einführte, in dem Figuren wie Judy Lybke oder Jonathan Meese ohne jede Sentimentalität, einfach vital das Berlin von damals wiederaufführten. Für mich hat sich seit der Wiedervereinigung vieles im Verhältnis zu Deutschland verändert. Berlin ist zum Glück unübersichtlich geworden und nähert sich darin Paris oder New York an. Vorher wusste man, wo man am Abend im Grunde jeden, den man suchte, treffen konnte, in der » Paris-Bar « in der Kantstraße oder bei » Fofi « in der Fasanenstraße. Jetzt darf man sich auch in dieser Stadt verlieren und kann herumirren. Das ist sicher auch Teil des Geheimnisses, das die große Anziehungskraft von Berlin ausmacht. Aus eigener Erfahrung weiß ich, dass viele Franzosen von dem Nichtdefinitiven dieser Stadt angezogen werden. Denn im Vergleich ist Paris eine definitive Stadt. Dies gilt zum Glück nur für die Innenstadt, in der fast jede Veränderung – bis auf das Centre Pompidou – eher fatale Folgen hatte.

    Werner Spies, Jeanne-Claude und Christo

    An Demand faszinierte mich sein unerhörter Aufwand, unsere Gewissheit zu täuschen. Und unsere Gewissheit ist heute die Gewissheit des Bildschirms – ich würde sagen, die Gewissheit des am Bildschirm möglichen, fabrizierten Bildes. Mitzuerleben, dass Demand die großen Maquetten, die er mit seinen Helfern in wochenlanger Arbeit hergestellt hatte, anschließend wieder zerstörte, war für jeden Anwesenden zunächst frustrierend. Wie sollte so für die Zukunft überhaupt der Beweis erbracht werden, dass der Künstler nicht alles am Bildschirm

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