Mein Glueck
konstruiert hatte? Ich schlug ihm vor, wenigstens einmal eine Ausnahme zu machen und eine Vorlage zusammen mit einer Fotoarbeit auszustellen. Er nahm meinen Rat an, und dies führte dazu, dass sich jeder ungläubige Thomas einmal dem Modell, das Thomas Demand gebaut hatte, nähern durfte. Die Ausstellung »processo grottesco« in der Fondazione Prada auf der Insel San Giorgio in Venedig war nur wenige Tage zu sehen. Nebeneinander konnte man die große Höhle mit ihren Stalaktiten und Stalagmiten, zu der Demand über fünfzig Tonnen Karton in neunhunderttausend Schichten übereinandergestapelt hatte, neben der Fotoarbeit, seinem wahren Ziel, sehen. Wie gesagt, in der Ablehnung des Monumentalen treffen sich die Welten Christos und Demands, auch wenn für Christo die verschiedenen Phasen der Ausführung untrennbar zum Werk gehören. Das Entscheidende, Moralische ihres Vorgehens bleibt die Ablehnung, eine bereits überfüllte Welt noch zusätzlich zu belasten. Hier liegt der unüberbrückbare Unterschied zu einem Anselm Kiefer, der mehr und mehr Land gewinnen und kolonisieren will.
Christos Großprojekte auf Zeit sind wie eine Überraschung, die zu einem paradoxen Sehen auffordert. Denn das, was der Betrachter entdeckt, setzt Logik und Kausalität außer Kurs. Die Arbeiten negieren Nutzen und Zweckmäßigkeit. Musil hat in seinem Roman Der Mann ohne Eigenschaften eindrücklich die Wirkungsart beschrieben, die eine solche Veränderung und Verfremdung zustande bringt. Mit einem Schlag wird alles unsicher, in Frage gestellt, denn, so schreibt der Autor: »Das Gewöhnliche ist, dass uns eine Herde nichts bedeutet als weidendes Rindfleisch. Oder sie ist ein malerischer Gegenstand mit Hintergrund. Oder man nimmt überhaupt kaum Kenntnis von ihr. Rinderherden an Gebirgswegen gehören zu den Gebirgswegen, und was man in ihrem Anblick erlebt, würde man erst merken, wenn an ihrer Stelle eine elektrische Normaluhr oder ein Zinshaus dastünde.« Am Lebensstil von Christo und Jeanne-Claude hatte sich in Lower Manhattan seit über dreißig Jahren kaum etwas geändert. Für den, der erstmals »Howards Haus« betrat und die finstere, steile Stiege hinaufkletterte, mochte das, was er vorfand, nach Improvisation und Bohème aussehen. Wohnung und Atelier ließen sich nicht mit den wohlsituierten Lofts jener Künstler vergleichen, die in diesem Teil Manhattans ihren gleichmacherischen Schick verbreiteten. In jedem Detail sprach sich eine vorläufige, immer neu erkämpfte Kontinuität von Glück und Erfolg aus. In der Wohnung des Künstlerpaars verkündete alles Enthusiasmus, unbeirrbare Zuversicht und Bedürfnislosigkeit: »Wir waren nie arm, allenfalls hatten wir zeitweise kein Geld.« Man hat die beiden denn auch eigentlich nie niedergeschlagen oder gar verzweifelt erlebt. Im Gegenteil, jede Absage, die sie einstecken mussten, führte zu einem neuen Adrenalinstoß, belebte ihren Widerstand, der immer dazu führte, die Öffentlichkeit für die eigenen Vorschläge einzunehmen. Die Bilanz ist beispiellos. Denn es gibt so gut wie kein Projekt, das an einem äußeren Widerstand gescheitert wäre. Denkt man an all die Träume, die überwältigende Realität wurden, könnte man meinen, Christo und Jeanne-Claude wäre es gelungen, die Utopie abzuschaffen. Von einer Art Spiel mit dem Topos des Weltwunders, von visuellen Superlativen möchte man sprechen. Auf alle Fälle agierten sie meilenweit entfernt von den Konzeptkünstlern, die nicht zuletzt aus der Unfähigkeit heraus, eine Tugend auch zu verwirklichen, einen platonischen Rückzug versuchten. Was Christo und Jeanne-Claude bieten, sind Monumente auf Zeit. Sie sind Meister in der Konstruktion von Vergänglichkeit, Produzenten von Erinnerung. Zu den entscheidenden Botschaften, die das Werk transportiert, gehört sicherlich, dass Christo und Jeanne-Claude die Welt nicht noch weiter füllen möchten. Ohne etwas zu stören oder gar zu zerstören, treten sie immer wieder von der Bühne ab. Aus diesem Grunde liegt über ihren Erinnerungsstätten, deren Bild sich in uns eingenistet hat, eine Art von Melancholie. Sie erscheinen wie eine bewusste Suche nach Widerstand.
Ich erinnere mich genau an die Stunde, da mich im April 1997 jeder der beiden, in der Howard Street zur Seite nahm und mir mitteilte, von nun an hieße es für alle Zeiten Christo und Jeanne-Claude. Und diese Regelung, fügte Jeanne-Claude hinzu, gelte auch für die Neuauflagen der Bücher und Texte, die noch aus der monotheistischen
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