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Mein Glueck

Mein Glueck

Titel: Mein Glueck Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Werner Spies
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zustande kommen. Die anspruchsvollste sollte auf Wunsch von William Rubin im MoMa stattfinden. Rubin hatte mich 1978 bei einem Besuch in New York gefragt, ob ich die Ausstellung als Kommissar mitorganisieren würde. Natürlich elektrisierten mich dieser Vorschlag und die Möglichkeit, im Kontext dieser Bilder auf das hinzuweisen, was Lindner an verwertbarer europäischer Vergangenheit in die USA mitgebracht hatte. Das Gebrochene in seiner Kunst, die literarischen und politischen Bezüge wirkten revolutionär, nicht zuletzt in einer Stadt, die unter dem nach wie vor ungebrochenen Einfluss des abstrakten Expressionismus stand. Richard war stolz und überglücklich, als ihm Rubin die Kunde überbrachte. Ein oder zwei Tage später legte er sich in seiner Wohnung neben der Frick-Collection zum Mittagsschlaf nieder und wachte nicht mehr auf.
    All die Begegnungen und Freundschaften mit Künstlern und Schriftstellern fanden sich zu einem vollen Orchester zusammen, in dem so gut wie kein Instrument fehlte. Als Kahnweiler erstmals in den sechziger Jahren einen Guss von Picassos Skulptur »Frau mit Kinderwagen« zeigte, wandte sich ein Freund, der Kunsthistoriker Jacques Thuillier, großer Anwalt des französischen siebzehnten und achtzehnten Jahrhunderts, mit Schauder von der Arbeit ab. Er meinte beim gemeinsamen Besuch in der Galerie, es gebe nichts Verwerflicheres als Humor in der Kunst. Das sei richtiggehend unerträglich. Und dabei gehörte diese enzyklopädische Assemblage Picassos zu den außergewöhnlichsten und erfrischendsten Materialparadoxien der Kunst des zwanzigsten Jahrhunderts. Jedes Objekt, das Picasso hier recycelte, erhielt eine neue Bedeutung. Eine Topfscherbe, Henkel von Krügen erfuhren eine Verwandlung, die sie zu Köpfen, Beinen und Brüsten machte. In dem Lachreiz, der dabei zustande kam, erschien etwas Neues. Mir hatte der Umgang mit Picasso, Max Ernst, Duchamp, mit Dada und dem Surrealismus gezeigt, dass hinter Humor und Ironie etwas Hintergründiges lag, das sich jedem Sehen entzog. Deshalb fand ich den Umgang mit den Cartoonisten, die große Teile der Gesellschaft nur als Gebrauchsgraphiker ansahen, so spannend. Auch diese Begegnungen verdankte ich der Zusammenarbeit mit dem Süddeutschen Rundfunk, der in einer Sendereihe über die Bedeutung der französischen Zeichner berichtete. An einigen Berichten und Filmen, die in Paris von Dieter Ertel und Sybille Storkebaum gedreht wurden, konnte ich teilnehmen. Dabei lernte ich Chaval, Bosc, Sempé, Ronald Searle und Rene Goscinny und Albert Uderzo kennen. Bei Chaval, mit dem wir in seinem Landhaus in Lesigny-sur-Creuze und in Paris drehten, spürte ich einen korrodierenden Humor, nicht nur in seinen bösen Zeichnungen, sondern auch in der Art und Weise, wie er seine Verzweiflung ansonsten zum Ausdruck brachte. Ich erinnere mich an einen schrecklichen Abend, es war 1968 , einige Zeit vor seinem Selbstmord und dem seiner Frau. Monique und ich waren zum Essen eingeladen. Seine Überzeugungen waren hart. Für ihn war es keine Frage, dass jeder hilflos und im Vakuum der kalten Welt zu leben habe. Man versuchte auf Freundschaft zu verweisen. Er ging nicht darauf ein. Plötzlich rief er ziemlich aggressiv: »Wollt ihr einen Beweis dafür?« Er öffnete alle Fenster im Salon, die zur Straße gingen, und auch die Tür, die zum dunklen Treppenhaus des mehrstöckigen Gebäudes führte. Dann holte er ein Tonbandgerät heraus, schaltete es an und drehte es auf maximale Lautstärke. Man hörte ein fürchterliches Gezeter zwischen einem Mann und einer Frau. Dies schien endlos lang zu dauern. Dann griff Chaval zu einem Revolver und schoss in den Flur. Ein erstickter Schrei aus dem Magnetophon beendete die Szene. Die laute Szene gellte über die Straße und durch das Haus. Danach trat Totenstille ein. Sie verstärkte den Nachhall. Im Haus und in der Nachbarschaft blieb alles still. An keiner Gardine wurde gerückt. Niemand schien sich darum zu kümmern, alle versteckten sich. Chavals Kommentar war einfach, unheilvoll einfach: »So wird es auch sein.« Und er fügte hinzu: »So macht man sich glaubwürdig.« Wir wohnten Chavals furchterregendem »Letztem Band« bei.
    In vergleichbar tiefer Verzweiflung, der Verzweiflung von »Können einem toten Mann nicht helfen«, steckte auch Bosc, als ich ihn kennenlernte. Er lebte in Antibes in der Résidence des Fleurs, in einem der Betonklötze, mit denen sich seine Landsleute dort unten offensichtlich gegen die allzu evidente

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