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Mein Glueck

Mein Glueck

Titel: Mein Glueck Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Werner Spies
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Ich blicke zurück und sende Postkarten aus der Sommerfrische meiner Vergangenheit. Die Deutschen sind vergangenheitsbewusster, weil sie alles verherrlichen. Man hat auch den Kaiser mit schlechtem Gewissen hinausgeworfen. Die deutsche Revolution war nichts anderes als schlechte Manier, nicht mehr.« Für seine geheime, verbotene Sehnsucht nach der Herkunft stand auch seine überwältigende Sammlung an Spielzeug, in der viel aus Nürnberg stammte. Von Mitteleuropa, das er in allen Restaurants in Manhattan suchte, sprach auch ein Porträt von Kafka, das seine Frau, Denise, gemalt hatte. Es hing neben dem Bild, das ein aufgewühltes, noch atmendes Bett zeigte, dem offenkundig eben jemand entrissen worden war. Ich kannte niemanden, der sich auf so verzweifelte und genaue Weise zwischen den Welten bewegte. Richard war klein, ja winzig, doch man bemerkte dies eigentlich erst dann, wenn man den Blick auf seine Pfeife konzentrierte. So wie es Viertelgeigen gibt, gab es für ihn handgemachte Viertelpfeifen. Sie waren der Maßstab für seinen Körper und seine Bewegungen. Alles war so reduziert, dass man unweigerlich auf die Frage Musils stieß, ob Menschen mit ihrem Körper übereinstimmen müssten. Wenn man mit ihm zusammen war – und mit niemandem verkehrte ich in New York lieber als mit Richard –, kehrte die Geschichte auf überaus präzise, böse und irrsinnige Weise zurück. Er erzählte von seiner Ankunft in Paris, davon, wie verschieden damals die Länder noch waren. Und er berichtete, dass er im letzten Moment einem deutschen Massenmörder entkommen sei, der ihn in einen Pavillon der Pariser Banlieue gelockt und dessen Hinrichtung auf der Guillotine vor der Santé er noch miterlebt hatte. Und für alles fand er unvergessliche Formulierungen: »Die deutschen Bordelle waren immer ein Schweinestall. Es herrschte immer eine gewisse Vulgarität, die nicht uninteressant war. Das Berlin der Weimarer Republik war anders. München war der große Unterschied. Es hat hier nach Kunst gestunken wie nach Bier.« Und immer war er glücklich, auf seinen Reisen nach Deutschland, Erinnerungen wiederzufinden, die seine zornige Nostalgie in Gang brachten. In der Zeit, in der er an der Hamburger Kunstakademie unterrichtete, sei er fast täglich in ein Etablissement gegangen, in dem man mit Tischtelefonen Kontakt zu Damen an anderen Tischen knüpfen konnte. Das habe in ihm glückliche Erinnerungen an die Berliner Zeit hervorgerufen. Er verehrte den Wedekind von Frühlings Erwachen . Brecht, Kurt Weill, mit dem er auch familiär verbunden war, gehörten für ihn zur Berliner Freizügigkeit, die er später auf diese Weise nirgends mehr angetroffen habe. Unvergesslich bleiben die Geschichten, mit denen dieser Beobachter sein Leben und seine Zeit immer erneut grell zu beleuchten vermochte. Dazu gehörten in erster Linie seine Begegnungen mit Hitler in dessen Lieblingslokal »Café Heck« in München. »Er kam im schwarzen Anzug mit einer Reitpeitsche. Er wirkte wie die billige Taschenausgabe eines Sadisten.« Die Kunststudenten konnten ihn ungestraft beschimpfen. Hitler habe einen Heidenrespekt vor Künstlern gehabt. Man stelle sich vor, dass Lindner einmal, wie er mir schilderte, zusammen mit Hitler seinen Bruder, der ohnmächtig geworden war, an die frische Luft getragen hat. Hitler, der aus Versehen mit einem Juden einen Juden rettete, solche Perversionen der Menschlichkeit ließen den wundgescheuerten Beobachter der Zeit, die darauf folgte, nicht mehr los. Richard lieferte für alle Themen, die ihn in seinen Bildern beschäftigten, den Kommentar. Nehmen wir nur sein todessüchtiges violett-schwarzes Bild »Marilyn Monroe was here«, das neben anderen Meisterwerken in der Sammlung seines Freundes Max Palevsky in Beverly Hills hing. Er meinte dazu: »Sie war ein Opfer von Hollywood. Ein Symbol der dortigen Obsession durch Tod und Sex. Sie machten ein kleines Mädchen aus ihr und bewahrten sie dann im Eisschrank auf.«
    Lindner hatte eine grenzenlose Verehrung für Picasso. Während meiner Arbeit am Buch über dessen Skulpturen besuchte er mich in Sceaux, studierte das ausgebreitete Bildmaterial und brachte nur die Worte heraus: »Daneben sind wir alle nichts.« Allein Duchamp sei wie Picasso ein Genie gewesen. Ihn habe er Ende der zwanziger Jahre über die Arbeit für eine Zeitschrift kennengelernt. Und Warhol lasse sich schließlich mit Duchamp vergleichen: »Warhol hat als erster da weitergemacht, wo Duchamp Duchampmacher wurde.« Und:

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