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Mein Glueck

Mein Glueck

Titel: Mein Glueck Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Werner Spies
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seiner Bilder und Aquarelle, in denen Männer in der Regel zu kleinen Marionetten zusammenschrumpfen oder mit wattierten Schultern den Supermann simulieren. Dahinter steckt auch Lindners Vorstellung von sexuellen Beziehungen. Und er meinte mit Blick auf seine Bildern: »In Darstellungen von Paaren bleibt der Mann immer der schwächere. Proust ist die Ausnahme, er ist Mann und Frau zusammen, das totale Bild, ein Absolutum.« In seiner Auseinandersetzung mit diesem Motiv bildet neben dem violett-schwarzen Porträt, das er als Requiem für Marilyn Monroe malte, sicher seine Suche nach dem Gesicht Marcel Prousts den Höhepunkt. Diese Recherche nach Proust steht am Anfang. Regelmäßig durchschießt Lindner sein Werk, das wie kaum ein anderes die Begegnung mit dem aktuellen Amerika illustriert, mit mythischen Figuren. Nie greift er, im Unterschied zu den Vertretern des Pop, die ihm so viel verdanken, zum Faksimile des Lebens. Nur das Recherchierte, Gebrochene interessiert ihn. Er sucht es in introvertierten Gestalten, in der androgynen Fiktion, bei Ludwig II., Verlaine, Proust oder Marilyn Monroe. Und die Beschäftigung mit Proust, dem Inbegriff des vermittelten, reflektierten Lebens, eines Menschen, der sich das Leben vorleben lässt, erscheint als Manifest für die schmerzlich-nostalgische Rekapitulation, die Lindner mit seinem Totentanz der Erinnerung treibt. Proust entsprach seinem eigenen kaltgepressten Voyeurismus. Lindner erzählte, wie er in Paris Zeitzeugen befragte, Cocteau, Colette, den Concierge. Er führte mich im Jardin des Palais Royal zu der Buchhandlung und den Hauseingängen, in die er eintrat, um Erkundigungen über Proust einzuholen. Und er fasste zusammen: »Alle haben ihn gehasst. Ich hörte kein einziges freundliches Wort. Was ich hörte, habe ich aufgeschrieben. Dieser schamlose Egoismus hat mich interessiert. Ich finde, das Bild hat etwas Schamloses. Doch das Schwierigste war, ich musste vergessen, wie dieser Proust aussah.« Die gesammelten Aussagen hätten zu diesem finsteren Phantombild des Schriftstellers geführt. Das Porträt wirkt denn auch wie eine Maschinerie des Unbehagens. Die Frostigkeit und die schillernde Verwesung, auf die alle Gesprächspartner hingewiesen hätten, seien in das verschattete Gesicht eingedrungen. Der helle Stehkragen knebelt den Kopf wie eine Garrotte zu gefährlicher Bläue. Lindner begann erst spät zu malen. Er entwarf zuvor Plakate. Doch sicherlich haben ihn in New York die Ermüdungserscheinungen des Actionpainting dazu ermuntert, sein großes ikonographisches Wissen, seine zeichnerische Fertigkeit und seine europäische sophistication einzusetzen. Es lässt sich nicht übersehen, dass dank Richard Lindner etwas von der urbanen Berliner Theatralik eines George Grosz, Hubbuch oder Dix nach Amerika kam. Grosz selbst hatte nach seiner Ankunft im amerikanischen Paradies, in das er sich hineingeträumt hatte, vieles von seinem Biss verloren. In der Berliner Zeit, in den Werken der Weimarer Republik, weiß man, um ein Wort von Nietzsche als Kommentar heranzuziehen, nicht, ob diese Menschen wie der Affe »Ein Gelächter oder eine schmerzliche Scham?« sind. Mit dem Wort Körperlichkeit möchte man den Eindruck beschreiben, der sich vor diesen Bildern und Blättern einstellt: Keiner hat wie er aus der deutschen Seele Fleisch gemacht. Widerliches, sülziges, immer wieder mit süßlichen Farben gehöhtes, allein durch primäre Geschlechtsmerkmale von Mitfleisch getrenntes Fleisch. Tucholsky zählt die Rotweinäderchen auf dem Gesicht des Machthabenden und entdeckt »patriotische Hammelbeine«. Speckfalten, Wurstfinger, Haarbüschel, Schnurrbärte, Adern, Venen, im Grabenkampf der Geschlechter aufgerissene Venushügel führen dieses unerhörte Anschwellen der Physiologie zu einem ausweglos närrischen Pandämonium. Das alles fällt in Amerika weg. In gewissem Sinne bildete Lindner in New York das Bindeglied zwischen Neuer Sachlichkeit und Pop. Er konzentrierte sich auf Sujets, die er aus der Distanz als typisch für Amerika erkannte. Deshalb wurde er auch von vielen Künstlern New Yorks als neue Hoffnung begrüßt und gefeiert. Es war bedauerlich, dass er nur ein so kleines Œuvre zustande gebracht hatte. Der Werkkatalog, den Claudia Loyall bearbeitet hat und den ich im Prestel-Verlag herausgegeben habe, führt neben dreitausend Zeichnungen nicht mehr als dreihundert Gemälde und bildmäßige Aquarelle auf. Das hat dazu geführt, dass Retrospektiven nur ganz selten

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