Mein Glueck
Schönheit der Küste zur Wehr setzen. Er vertiefte, so schien es, die Hässlichkeit, die ihn umgab, indem er eine Wohnung ohne jeglichen Ausblick ausgesucht hatte. Die Zimmer waren kahl. Nichts hing an der Wand. Wollte man partout das Meer sehen, das hinter einer kleinen staubigen Esplanade lag, musste man in seinem Arbeitszimmer auf eine Bockleiter klettern. Man dachte unwillkürlich an die Bosc-Zeichnung, auf der sich die Massen zur Parade drängen, um wenigstens auf den Zehenspitzen einen Blick auf das Ereignis zu erhaschen. Hinter der Menschenmauer sitzt demonstrativ ein Mann. Die jubelnde Sichtblende sichert sein Alleinsein. In Antibes saßen wir stundenlang am Strand, er im Anzug neben den Badenden. Er schaute zu, schaute weg und zeichnete dann und wann mit einem Stock in den nassen Sand. Bosc war ein Meister von Situationen, in denen sich ein Individuum von der Masse abzuspalten sucht. Und dabei war es doch meistens so, dass die Masse das Individuum als Krüppel, Schiffbrüchiger, Selbstmörder identifizierte und sich von diesem abwandte. Nicht aus Neigung hatte er die Côte d’Azur als Wohnort ausgesucht. Er brauchte das Klima zum Überleben. Der Indochina-Krieg hatte ihn kaputt gemacht und völlig gebrochen. Seine Angriffe auf de Gaulle und die Kolonialpolitik brachten ihn in einen Dauerkonflikt mit der Gesellschaft. Als Neunzehnjähriger war er eingezogen worden und musste drei Jahre in der Hölle verbringen. Er war spindeldürr und lebte allein mit einer Katze in dem kahlen, sonoren Appartement. Die Katze spielte mit einem militärischen Tapferkeitsorden, den Bosc über ihren Korb gehängt hatte. Ich drehte für den Süddeutschen Rundfunk das Porträt eines unglücklichen Humoristen, dessen einzige Gewissheit in dem bestand, was er ablehnte. Er lebte in einem abgesicherten Lebensekel. In allem war er Manichäer. Schon wenn man ihm beim Essen zuschaute, fiel auf, wie er darin herumstocherte und dabei auf das genaueste zwischen für ihn Essbarem und Nichtessbarem unterschied. Ein völlig unflexibler Mann, für den es kein Laisser-aller gab. Präzise war die Liste der Dinge, die er peinlich auseinanderhielt: »Viele Leute, nein. Alleinsein ja. Militär nein. Segeln ja. Sonntagsanzüge nein. Mädchen ja. Kinder nein. Katzen ja. Hunde nein.« In der Zeit, in der ich ihn regelmäßig traf, entfernte er sich immer mehr vom Ohne-Worte-Cartoon und lieferte kleine Bildgeschichten. Viele dieser bitterbösen Elegien sprachen nicht mehr so direkt an wie die klaren, auf Bildwitz abgestellten Cartoons. Bosc begann Bild und Wort zu koppeln. Es war ein gewollter Abbauprozess des Lachens, eine institutionalisierte Langeweile und Öde, die die private Verzweiflung über ein sinnloses Dasein spiegelte. Nirgends finden wir eine lächelnde Idylle, alles mündet in böse Lächerlichkeit. Das Pittoreske zog ihn, im Unterschied zum quicklebendig auf Mode, Tagesstil, Gesprächsstoff reagierenden Gesellschaftsillustrator Sempé, nicht an. Bosc blieb stets näher bei Chaval. Die Kargheit der Mittel, das Abbreviatorische passte in die Pariser Nachkriegszeit. Das ähnelte dem Theater des Absurden, der Schwärze der krampfartig zusammengezogenen Einfälle Tardieus oder Ionescos. Er war damals, als ich mit ihm in Antibes zusammen war, schon auf der Umlaufbahn, die ihn in den Selbstmord stürzen sollte. Ihn umgab eine Finsternis, aus der ihn niemand retten konnte.
In dieser Zeit traf ich auch erstmals regelmäßig Folon und Sempé. Beide waren immer wieder Gäste bei uns zu Hause. Am meisten beeindruckte uns Sempé. Er war das Gegenbild zu Chaval und Bosc. Er geht direkt auf den Betrachter los und hat in seinen Blättern und Texten für das Lachen so etwas wie eine Schrecksekunde geschaffen. Dabei bleiben Blick und Reaktion kurz in der Schwebe. Im Grunde lässt sich oft so gut wie nichts von dem, was in den Zeichnungen geschieht, weitererzählen, weil es nicht auf den direkten Bildwitz ankommt, sondern auf den Scharfblick, mit dem in den Blättern das Beiläufige, die Anspannung für ein Lächeln sorgt. Es ist diese Verzögerung, die aus dem Zeichner den Meister elegischer Heiterkeit macht. Der unsichere Augenblick, der Distanz schafft, wird für sein Publikum zum Prüfstein. Und der winzige Rückstand reicht aus, um jedem die eigene bornierte Verwicklung in die Konventionen des Alltags bewusst zu machen. Wenn wir nie lauthals lachend auf diese Arbeiten reagieren, dann liegt dies nicht nur an der subtilen Definition, die Sempé vom
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