Mein Glueck
Weise beschrieb er die Entstehung seiner eigenen Bilder und begründete die Notwendigkeit von Berechnungen, die er dafür in zahlreichen großen Skizzen anstellte. Es gab kaum einen anderen Künstler in Deutschland, der so eng mit Kollegen aus Frankreich, Belgien und den USA befreundet war. Dazu zählte auch René Magritte. Und mit Recht konnte er darauf stolz sein, dass ihm André Breton einen seiner letzten Texte gewidmet und für seine Sammlung zwei Bilder von ihm erworben hatte. Diese standen auch noch Jahre nach dem Tod Bretons im berühmten Atelier der Rue Fontaine am Montmartre, in das mich ab und zu Elisa Breton, die Witwe, eintreten ließ. Breton hatte Klapheck während seines längeren Aufenthalts in Paris eingeladen, an den regelmäßigen Treffen der Surrealisten im »Café La Promenade de Vénus« teilzunehmen. Auch Max Ernst, der mit Klaphecks eindrucksvoller und kämpferischer Übermutter Anna befreundet war, traf Konrad gerne. 1954 , beim ersten Besuch Klaphecks in Paris, widmete er dem jungen Künstler ein Exemplar seines jüngsten bibliophilen Buches Sept Microbes . Den Umgang mit Konrad erleichterte seine fabelhafte Gabe, zu erzählen und zu formulieren. Er konnte dabei umwerfend skurril sein. Nicht zuletzt wenn er mit makabren Themen spielte, die er völlig ernst vortrug. Einige Monate nachdem seine Frau Lilo bei einem Zimmerbrand im holländischen Ferienhaus ums Leben gekommen war, machte er sich auf die Suche nach einer Begleitung. Er tat dies systematisch und gründlich wie alles. Eines Abends erzählte er Stephanie und Hans Mayer und mir in einem italienischen Restaurant in Düsseldorf, dass er bereits am Grab gespürt habe, wie ihm jüngere Witwen auf ungewohnte und vielversprechende Weise die Hände drückten. Er machte sich daran – in seinen Worten – »Witwen zu testen«. Denn es sollte unbedingt eine Witwe sein. Geschiedene Frauen kamen für ihn nicht in Frage, die schimpften, meinte Konrad, zu viel über den Mann, der sie verlassen hatte oder den sie verlassen hatten. Witwen würden dagegen vorwiegend freundlich über den Verflossenen urteilen. Um die Testreihe durchzuführen, erstellte Konrad eine Art von Schautafel, in die er links den Namen und die Adresse eintrug.
Robert Longo, Barbara Sukowa, Werner Spies, Sophie und Jérôme Seydoux
In anderen Kolonnen der Versuchsreihe ging es darum, Aussehen, Charakter, Bildung und Weltläufigkeit zu benoten. Um Näheres über die Physis herauszufinden, lud er die Damen auf die Rheinterrassen ein und spendierte ihnen eine Coca-Cola und einen Cognac. Hier wollte er mit ihnen tanzen. Und zwar ausschließlich Foxtrott, weil, wie er herausgefunden hatte, kein anderer Tanz es gestattete, so leicht die Präsenz von Röcken zu umgehen und auf heimliche Weise mit den eigenen Beinen die Beine der Partnerin und ihren Unterleib zu bespitzeln. Sein Tanzen war eine Vorform des Körperscans. Doch dies genügte ihm keineswegs. Das gemeinsame Essen in einem feinen Restaurant gab ihm weitere entscheidende Aufschlüsse. Hier konnte Professor Higgins die Eliza Doolittle des Tages nach ihren Neigungen, Reisen, Fremdsprachenkenntnissen und ihren Lektüren befragen. Und außerdem gab dies die Möglichkeit festzustellen, ob die mögliche Partnerin über ein gewisses Raffinement verfüge. Selbst ausgefallene Speisen durften sie nicht in Erstaunen versetzen. Brach sie schon bei Avocado mit Shrimps in Entzücken aus, so als habe sie so etwas erstmals in ihrem Leben serviert bekommen, gab es eine schlechte Note auf der Klapheck-Liste. Zum Glück traf er Wanda Richter-Forgách, die große Kostüm- und Bühnenbildnerin, die dafür sorgte, dass er die Versuchsreihe abbrechen konnte.
Mit dem Modell für die neue Hängung im Centre Pompidou
Ende der neunziger Jahre ließ Klapheck plötzlich die Maschinenallegorien, die ihn berühmt gemacht hatten, fallen. Wie besessen zeichnete er Porträts, als wolle er auf diesem Weg zu einer verlorenen Wirklichkeit zurückfinden. Wahrscheinlich nimmt er es mir bis heute übel, dass ich diese Suite nicht gut fand. Ich vermisste in den meisten Fällen die Ähnlichkeit und meinte, seine Gesichter gingen fremd. Daneben begann er eine Serie von Gemälden, die von erotischen Fotografien und eigenen Aktstudien angeregt wurde. Anfangs schüttelte man über diesen abrupten Wechsel der Bildsprache den Kopf. Doch Aufbau und Kalkül von Raum und Körpern profitieren von der jahrzehntelangen Berechnung seiner Bilder in Konstruktionszeichnungen.
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