Mein Glueck
Und die neuen Arbeiten öffnen konkret den Blick auf das Unheimliche, Sexuelle und Rätselhafte, die bereits das frühere Werk von einem sachlichen Konstruktivismus unterschieden. Es gibt meines Erachtens nur ein anderes Beispiel für ein so unerklärlich-notwendiges Revirement eines Künstlers, Marcel Duchamps nachgelassenes Diorama, die Peepshow »Etant donnés: 1° la chute d’eau/2° le gaz d’éclairage« im Philadelphia Museum. Hier stürzt das Konzeptuelle ab und erholt sich im Freudenhaus. Eine der ersten, verblüffendsten Arbeiten, »Noël à la Maison«, hat eine umwerfende Entstehungsgeschichte, die mir Konrad in allen Details zugänglich machte. Mitten im Hochsommer 1999 beschließt er, »Das Weihnachtszimmer«, ein Bild mit einem Weihnachtsmann, zu malen. Er besorgt sich aus dem Fundus eines Düsseldorfer Leihgeschäfts ein rotes Kostüm und einen großen weißen Bart. Dann bittet er eine Studentin, ihm auf seinen Knien Modell zu sitzen und macht mit Selbstauslöser Aufnahmen. Da es sehr heiß im Raum ist, schlägt er der jungen Frau vor, ein leichtes Nachthemd von Lilo anzuziehen. Doch dieses schützte nicht vor der Hitze, und so ließ sich das Modell – sicherlich nach Plan – nackt auf dem Schoß des Künstlers nieder.
Der Kollege Fritz Schwegler erschien mir an der Düsseldorfer Akademie als der Lehrer par excellence. Er zog morgens in seinem Atelier, das neben meinem Raum lag, einen weißen Kittel an, wie ein Parament, das ihn zur Lehre befugte. Er hatte einen guten Ruf, nicht zuletzt den eines ungemein liebenswürdigen und hilfreichen Menschen. Martin Honert, Katharina Fritsch, Thomas Huber und andere erfolgreiche junge Künstler verdanken Fritz Schwegler viel. Vielleicht haben die eminenten pädagogischen Qualitäten seinem Ansehen als Künstler geschadet. Aber er ist mehr als ein Czerny oder Clementi seines Fachs. Man muss ihn in seinem Heimatort Breech am Rande der Schwäbischen Alb, im Schurwald, erlebt haben. Dort hatte er im Laufe der Jahre all das in Besitz genommen, was die Modernisierung verworfen hatte: das Milchhäuschen, das Backhaus, das Transformatorenhaus, einen Waldarbeiterwagen, das Waaghaus, das alte Umspannhaus, den Wasserturm mit seiner stereometrischen Knappheit, die an die Revolutionsarchitektur eines Ledoux denken lässt. Schwegler führte einen langen, oft verbissenen Kampf gegen den Abriss. Diese abgehalfterten Plätze, insgesamt vierzehn Stationen, besetzte er mit seinen Kreaturen aus Holz oder Bronze, seinen »Jubelrollen« und »Effeschiaden« und seinen ausgedehnten Sammlungen. Die Reise zu diesen Stationen verlief nach einem genauen Programm. Angekommen, griff Schwegler zu einem Blasinstrument und tutete ins Dorf. Dann kam das obligatorische Gläschen Schnaps. An jedem Ort verwahrte er einige Flaschen. In den Einsiedeleien fühlte er sich wohl, auch weil er sich auf diesen Ausflügen von seiner strengen Frau Hildegard, von der er jeweils nur als »Die Frau« sprach, nicht beobachtet fühlte. Sie überwachte alles im Haus und schaltete mindestens fünfmal die elektrische Heizung in dem Raum ab, in dem Fritz und ich uns unterhielten. Nicht von ungefähr, schien mir, galt Hildegards große Passion ihrer Sammlung von Bürsten. Die Typenlehren, die beide von Bürsten, Ausstechformen, Seihern, Schneebesen, Kämmen, Musikinstrumenten, Trichtern, Rädchen, Gläsern, Pokalen, Flaschen und Materialien zusammengetragen haben, lassen sich mit denen vergleichen, die wir aus den systematischen Inventaren der Fotografen Becher kennen. Bei beiden geht es um die Niederschrift und die Rettung verschwundenen Gebrauchs, um das Formvokabular nicht mehr praktizierter Dingsprachen. Vergessen wir das Klischee vom liebenswerten und liebenswürdigen Eigenbrötler Schwegler, den man – um wenigstens einen Anhalt zu haben – hin und wieder mit Johann Peter Hebel oder Robert Walser zu vergleichen versucht. Aber wie bei Hebel oder Walser müssen wir uns an die dunklen Seiten halten. In den neunziger Jahren beschloss Schwegler, sich einem langwierigen Pensum zu unterziehen: Er wollte tausend Skulpturen, bemalte Bronzen, ausführen. Und zehn Jahre später, zu Weihnachten, waren die tausend kleinen Skulpturen auch fertiggestellt. Wie ein phantasievoller Feinbäcker entwarf er immer gewagtere Variationen seiner Welt. Dabei wiederholte er sich nicht. Wir merken rasch – es handelt sich um Dinge, die in der Geschichte der Objekte wie Primzahlen fungieren. Das alles war nicht naiv, sondern
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