Mein Glueck
eine künstlerische Autonomie, die sich nicht weiter mit der Realität des Lebens und der Geschichte abgeben müsse, sei für alle Zeiten geschlagen. Ich lernte Gerhard Richter als eher zurückhaltenden, in seinem Stolz bescheidenen und an sich zweifelnden Menschen kennen. Und rasch fand ich heraus, dass da nichts gespielt war. Bei allen Begegnungen verstärkte sich dieser Eindruck, nicht zuletzt bei stundenlangen Gesprächen in seinen Ateliers in der Bismarckstraße und zu Hause in der Nähe des Hahnwalds oder auf Wanderungen im Fextal hinter Sils Maria, das auch für ihn zu einem Lieblingsort auf dieser Welt zählt.
Werner Spies, Arno Lustiger und Andreas Gursky
Ich erinnere mich noch, wie er vor vielen Jahren mir gegenüber seinen Missmut über die hohen Preise seiner Bilder zum Ausdruck brachte. Das war für mich eine wohltuende Überraschung, bombardiert uns doch fast jeder Tag mit hybriden Meldungen vom Kunstmarkt. Preise werden fast als einziger Ausdruck der Bedeutung und Wichtigkeit eines Kunstwerks akzeptiert. Es gibt nur wenige, die sich dieser Magie durch die Übersetzung ihrer Kunst in Geld entziehen können. Max Ernst sprach nie davon, er freute sich darüber, wenn sein Kunsthändler Iolas Bilder bei ihm abholte und ihm ein paar Dutzend Hemden von Mr Fish in London als Geschenk brachte. Schockierend, weil unerwartet empfand ich dagegen das Verhalten Giacomettis, der als Clochard de luxe im Schmutz lebte und allen gegenüber seine Bedürfnislosigkeit zur Schau stellte. Einmal sagte er mir freudig erregt, er habe eben in der Zeitung gelesen, dass eine seiner Arbeiten zum Preis eines Picassos verkauft worden sei. Richter ist unabhängig, unabhängig von Meinung und Kritik, und er vertritt diese Position mit einem stolzen Anspruch. Er fasst ihn in Sätze, die eine unbeugsame Selbständigkeit zeigen: »Ich wollte zu keiner Zeit ein unverstandener Künstler sein, ein Außenseiter, ein Bürgerschreck. Nie. Schon vor fünfzig Jahren sah ich es mit Genugtuung, dass in den Blütezeiten der Kunst die Künstler eher Staatskünstler waren als Freaks, dass sie als hochgebildete Meister zu den Spitzen einer Gesellschaft gehörten. Davon zehren wir noch heute.« Jede Ausstellung zeigt, wie sich Richter verstanden haben möchte: doppelköpfig, emotional und kühl. Er macht aus dem Wechsel des Stils ein Prinzip. Das Richtungslose, ja Zynische, das ihm vorgehalten wird, erscheint so besehen in einem anderen Licht: Der Pendelschlag zwischen Gegenständlichem und Ungegenständlichem bringt die verwirrende Wirkung zustande. Darauf kommt es ihm an. Deshalb kann er auch von sich behaupten, er mache keine abstrakte Kunst. Die Interferenzen, die zwischen seinen Bildern, die erkennbare Sujets vorführen, und seinen Farb-Orgien zustande kommen, sind sein Thema. Die Verneinung eines Konflikts zwischen Realitätsbezug und Abstraktion steht im Vordergrund. Alle Bilder links und rechts der Demarkationslinie, die Gegenständliches vom Ungegenständlichen trennt, haben Anteil an derselben Intensität. Die Spannung, die dabei auftritt, färbt auf das Thematische und auf das Abstrakte ab. Wenn man mit ihm spricht, erfährt man, dass er aus der Geschichte des »Dritten Reiches« und aus der am eigenen Leibe erlebten Indoktrinierung Konsequenzen gezogen hat. Deshalb lehne er auch einen durchgehenden Stil ab, da dieser in die Uniform einer Ideologie schlüpfen könne. Und er meint: »Dann ist der Stil eigentlich verbrecherisch. Hitler, Stalin, Bhagwan und deren Jünger sind solche Stilisten.«
Man könnte den Ausdruck, den das Gesamtwerk hervorbringt, folgendermaßen beschreiben: Richter hasst definitive Urteile, denn sie sind letztlich nichts anderes als Aburteilungen. Alles, was ich hier erlebte, was mir im Umgang mit Gerhard Richter auffiel, brachte mich zu dem zurück, was ich an meinen Anfang stelle, zu Michel Leiris, zu L’Afrique phantôme . Im Rückblick erscheint mir dieses Buch mehr als nur eine notwendige Lektüre – es gibt all dem, was ich im Laufe der Jahre kennenlernen konnte, einen Zusammenhalt. Denn es wirkt wie eine Absicherung gegen Rechthaberei, gegen Ausschlussbegriffe und Ausschlussbeobachtungen. Und das ist das Wichtigste, was ich bei meinem oft unordentlichen, ziellosen Herumstöbern in Paris lernen konnte, bei Duchamp, bei Picasso, bei Max Ernst, bei Beckett oder bei Nathalie Sarraute. Ich geriet in einen Strudel von Unsicherheit. Erst später erfuhr ich, wie sich dies all mit den Analysen berührte, denen
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