Mein Glueck
überreichte mir das Kulturministerium in der Rue de Valois im Palais Royal die Ernennungsurkunde. Dieser Posten war für mich der denkbar verlockendste. Einige Zeit zuvor hatte ich einen langen Brief von Werner Schmalenbach erhalten, der damals noch Direktor der Kunstsammlung Nordrhein-Westfalen in Düsseldorf war, in dem er mir klarmachte, dass er mich nicht als seinen Nachfolger sehe. Ich hatte mich nie um diese Nachfolge beworben und auch niemandem gegenüber ein Interesse gezeigt. Offensichtlich fürchtete er, ich könnte mich melden. Die Begründung, die er mir gab, war sicher richtig: »Wie ich Dich zu kennen glaube, wäre die Kunstsammlung Nordrhein-Westfalen, wenn Du an diesem Schreibtisch säßest, für Dich in deinem Leben niemals die primäre Sache … Es kommt hinzu, dass ich mir kaum vorstellen kann, Du werdest Deine Zelte in Frankreich abbrechen. Auch das müsste die Voraussetzung sein, und zwar weniger geographisch als psychologisch.« Er setzte hinzu, dass auch Georg Schmidt seinerzeit im Kunstmuseum Basel sich dagegen gewehrt hatte, ihn als Nachfolger zu haben. Jean-Jacques Aillagon hatte vorgeschlagen, mich in einem Wagen des Centre Pompidou vom Ministerium abholen zu lassen, um mich am späteren Vormittag der zahlreichen Equipe der Konservatoren und Mitarbeiter des Museums und des Centre de création industrielle vorzustellen. Doch ich zog es vor, diesen Gang allein und zu Fuß zu machen. Auf dem Weg dorthin, vorbei an Saint Eustache und den Hallen, ging mir viel durch den Kopf. Natürlich war ich stolz und glücklich. Doch gleichzeitig war mir klar, welche ungeheure Anforderung diese Aufgabe an mich stellen würde. Vor allem, weil ich mich ja durch vorherige Erfahrungen nie als legitimes Mitglied des Museumsmilieus ausgezeichnet hatte. Wie kompliziert und wie hierarchisiert die Strukturen im Centre waren, konnte ich damals noch gar nicht wissen. Ich hatte zuvor nie Amtsautorität ausgeübt und hatte auch keine größeren Entscheidungen fällen müssen. Nun befand ich mich in einer Situation, in der ich nicht um Feindseligkeiten herumkam. Hunderte Augen richteten sich auf mich, als ich in der Bibliothek des Museums meinen Dienst antrat. Ich traf auf viele bekannte Gesichter von Kuratoren und Mitarbeitern, mit denen ich bereits zuvor zu tun hatte, und der Empfang erschien mir überaus herzlich. Sicher, meine Antwort auf die schmeichelhafte Begrüßungsrede Aillagons war eher naiv. Ich erwähnte meine wunderbaren Erinnerungen an die frühere Zusammenarbeit mit dem Haus und versuchte uns allen Mut für neue Erfahrungen und auch für die in der Zukunft mit dem kompletten Umbau des Museums anstehenden Aufgaben zu machen. Dies war für mich selbstverständlich. Ich hatte keine Ahnung, dass das Centre und mit ihm die Mitarbeiter, von denen viele seit Beginn im Hause arbeiteten, müde und nicht zuletzt mutlos geworden waren. Ich war überzeugt, mit Euphorie ließe sich die unvergessliche Aufbruchstimmung, die in den siebziger Jahren in diesem Haus geherrscht hatte, wieder zurückgewinnen. Nach dem Mittagessen mit Aillagon, Cerutti und einigen engeren Freunden – Isabelle Monod-Fontaine, Fabrice Hergott und Chantal Béret – bezog ich mein Büro. An der Eingangstür zum Verwaltungsgebäude, in das die Arbeitsräume der Konservatoren und ihrer Assistenten ausgelagert worden waren, wartete auf mich Joëlle Lavoine. Ich kannte sie aus der Zeit von »Paris–Berlin« als junge Sekretärin. Die Assistentin meines Vorgängers Germain Viatte pflanzte sich vor mir auf und sagte: »Ich bin Ihre Sekretärin.« Jeder Widerspruch wäre zwecklos gewesen. Warum hätte ich mich auch für eine andere Assistentin entscheiden sollen? Ich fand in dieser jungen Frau eine kompetente Mitarbeiterin, die auf effektive Weise darüber wachte, dass ich in diesem ungewohnten und schwierigen Amt keine allzu groben Fehler machte. Ihre Treue und Hingabe waren einzigartig. Überrascht war ich, als mir bald nach meinem Amtsantritt Germain Viatte erzählte, dass Joëlle Lavoine vorausgesehen hatte, dass ich sein Nachfolger werde. In ihren Augen sei ich der einzige gewesen, der dafür in Frage käme. Joëlle und ihre Mitarbeiterinnen stellten mir die Dossiers für die Sitzungen zusammen. Sie reagierten auf Interviewanfragen und kanalisierten den großen Ansturm von Besuchern. Künstler mit ihren Arbeiten, Botschafter mit Ausstellungsvorschlägen und nicht zuletzt die Mitarbeiter gaben sich die Klinke in die Hand. Dazu kamen die Gäste,
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