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Mein Glueck

Mein Glueck

Titel: Mein Glueck Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Werner Spies
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unaufhörlich andere Strukturen präsentiert, deren Kolorierung in einem fort wechselt. In dem Ozean aus Glas im Dom spiegelt sich vieles wider, nicht zuletzt die metaphysische Landschaft um Sils Maria und, in den ebenso scheuen wie bitteren Worten des Malers, das Wissen um die stetige Versuchung, »dass wir glauben können, glauben müssen«. Was zutiefst bewegt im Umgang mit diesem Fenster: Hinter der abstrakten Welt steckt ein Mensch und ein Werk, die sich süchtig der Fragilität der Erscheinungen zuwenden. Aus diesem Grunde führt alles, was sich zwischen Fextal und Maloja erleben lässt, ins südliche Transept des Kölner Doms. Richter, der eher seine Empfindungen zurückhält und ein ironisches Understatement liebt, lud uns anschließend gegenüber ins »Domhotel« ein, und dort stießen wir mit Champagner auf etwas an, für das es keine Erklärung gab. Aber man sah ihm das Glück an. Nur etwas beschäftigte Richter. Ob es hier eine Beziehung zum Kunsthandwerk gebe, und er meinte: »Es ist ja Handwerk, auch. Die ganzen Kirchenfenster haben ja nie zur großen Kunst gezählt, hatten aber doch irgendwas mit Kunst zu tun. Schon wegen der Wirkungen, die waren mehr Architektur als Kunst. Also ein Bild, das im Museum hängt, ist per se mehr ein Kunstwerk als ein Kirchenfenster. Und ich glaube, die moderne Kirchenkunst wollte moderne Kunst sein. Und das wollte ich nicht. Also insofern ist das auch schon eine Art Bekenntnis zum Handwerk.«

    Gerhard Richter und Werner Spies vor dem großen Fenster im Kölner Dom

    Das ist der Grund, warum er es schließlich ablehnte, für die Kathedrale von Reims in einer Kapelle im Chor weitere Fenster auszuführen. Er fürchtete, zum Kirchenkünstler zu werden. Und alle meine Hinweise, es handle sich mit der grandiosen Krönungskirche in Reims keineswegs um eine Kirche, sondern um einen hochbrisanten politischen Ort, um das im Ersten Weltkrieg massakrierte Nationalheiligtum Frankreichs, an dem sich Adenauer und de Gaulle für Versöhnung aussprachen, konnte an seinem Entschluss nichts ändern. Schließlich bat man Imi Knoebel, den Auftrag zu übernehmen, die sechs Fenster zweier Kapellen im Chorumgang zu entwerfen. Er erledigte den Auftrag auf fabelhafte Weise. Unübersehbar künden die neuen Fenster, die aus zahlreichen farbigen, schneidenden Splittern zusammengesetzt zu sein scheinen, von einer Katastrophe. Wir sehen bei Knoebel zerbrechendes, glühendes Glas. Dahinter spürt man eine ungeheuerliche Detonation. Doch diese wirkt wie eingefroren, als sei das zerborstene Glas im Sturz arretiert worden. Man kommt nicht um den Eindruck herum, der Künstler habe ein Äquivalent für eines der großartigsten symbolischen Historienbilder der deutschen Malerei zu geben versucht. Caspar David Friedrichs »Eismeer« liefert die bestechende Referenz.
    Meine beruflichen Aufgaben und mein privates Leben waren immer eng miteinander verflochten. Oft wusste ich nicht, wie sich beides entwickeln würde. Aber diese Unsicherheit, das Unerwartete wurden für mich wie eine zweite Haut. Ohne sie hätte ich nicht leben mögen. 1997 lud mich Jean-Jacques Aillagon ein, um mit mir über die Neubesetzung der Direktion des Museums und des Centre de la Création Industrielle im Centre Pompidou zu sprechen. Ich kannte ihn seit der Zeit, als er Verwaltungsdirektor des Musée National d’Art Moderne war. Wir redeten über das Haus, und dann fragte er mich unvermittelt, ob ich nicht bereit wäre, diese Aufgabe zu übernehmen. Ich hörte mir den Vorschlag in seiner Wohnung gegenüber der Westfassade des Centre an, konnte aber nicht glauben, dass er es ernst meinte. Auf der ganzen Welt rissen sich bedeutende Bewerber um diesen Posten. Einer soll im Freundeskreis sogar schon seine bevorstehende Ernennung gefeiert haben. Dass dieser ausgerechnet an einen Deutschen gehen könnte, schien ausgeschlossen. Als die Stelle einige Jahre vorher schon einmal neu besetzt werden sollte, meinte Claude Pompidou, die mir immer überaus wohlgesinnt war, man würde in keinem Fall einen Deutschen wählen, da man überhebliche Reaktionen deutscher Zeitungen und Medien zu befürchten habe. Im Falle von Pontus Hulten sei dies doch anders gewesen, denn als Schwede war er in jeder Hinsicht neutral und ließ die Frage nach der Nationalität gar nicht aufkommen. Doch dann ging es ganz schnell. Am 27. März, kurz nach dem Treffen mit Aillagon, wurde ich mit seinem Verwaltungsdirektor Guillaume Cerutti rasch einig, und wenige Tage später

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