Mein Glueck
kreist um Vanitas. Wir wissen, dass »Les Demoiselles d’Avignon« in der Biographie des Künstlers zu den Darstellungen gehört, die persönliches Unheil abwehren sollen. Der Exorzismus des Sexuell-Bedrohlichen in den »Demoiselles d’Avignon«, den der Künstler aus panischer Angst vor Geschlechtskrankheiten und am Abgrund einer unwiderstehlichen Faszination betreibt, greift auf den Warencharakter des exhibitionistischen Überangebots der nackten Leiber bei Ingres zurück. Die Haremsszene verwandelt sich nun in die Vitrine eines Bordells. In meinem Traum meldete mir jemand, Herr Professor Werner Hofmann wolle mir gratulieren. Er erwarte mich vor dem Haus, am Gatter. Ich komme dorthin und ein enormer Hund à la Hans Christian Andersen, der in dessen Märchen »Das Feuerzeug« auftaucht, mit Augen so riesig wie Mühlräder, bellt mich mit seinem Riesengebiss an. Doch es war alles ungefährlich. Der Freund, den ich schon immer bewunderte, gab mir den Rat, einen solch wichtigen Fund unbedingt zu schützen und möglichst schnell zu publizieren.
Kahnweilers Schilderung von Picassos gewolltem Bruch mit dem frühen Ruhm fand für mich einen Platz zwischen der Mythologie, die Rimbauds Wegzug nach Afrika, in den Harar, und Marcel Duchamps Absage an Malerei begleitete. All dies blieb rätselhaft. Ich suchte nach dem Geheimnis, das dahintersteckte, warum ein junger gefeierter Künstler, dessen süffige Bilder von der ganzen Bourgeoisie begehrt wurden, Schluss machen und sich auch gesellschaftlich einer Selbstverstümmelung ausliefern wollte. Dieser Entschluss blieb auch deshalb unverständlich, weil Picasso erst später mit der Enttäuschung von Erwartung, mit dem Abbruch der scheinbar kausalen Entfaltung des eigenen Werks zu arbeiten begann. Eine partielle Erklärung findet sich in einem Brief, den mir Kahnweiler zeigte. Picasso schrieb 1912 an seinen Kunsthändler, dass Uhde seine letzten Bilder »mit den Fahnen und dem Ripolin-Lack« nicht möge. Und stolz fügte er hinzu: »Vielleicht gelingt es uns, sie alle abzustoßen, und dabei haben wir noch nicht alles gesagt …« Zu diesem Zeitpunkt, da Kahnweiler zur Place Ravignan am Montmartre hinaufstieg, 1907 , folgte das Werk des Künstlers noch einer anscheinend logischen Entwicklung, die sich Schritt für Schritt etwas Neues eroberte und sich dank dem Neuen aus Überdruss und Abhängigkeit vom Geschmack der Zeit befreite. Der Quantensprung, der die Geschichte der Kunst des zwanzigsten Jahrhunderts so grundsätzlich verändern sollte, kam völlig unerwartet. Um das, was sich hier abspielte, zu verstehen, brauchte es die Kategorien, die erst einige Jahre später der Surrealismus zur Verfügung stellen konnte. Es überrascht aus diesem Grunde nicht, dass es Breton und seine Freunde waren, die »Les Demoiselles d’Avignon«, dieses unfertige Bild, entdeckten, das bei Picasso jahrelang zusammengerollt unter dem Bett liegengeblieben war. Was konnte die Surrealisten mehr locken als ein Torso, ein Resultat, in dem sich eine unendliche Unzufriedenheit so bündelte, dass sie nichts mit Gewissheit oder Rechthaberei zu tun hatte. Die Gruppe veröffentlichte in ihrer Zeitschrift La Révolution surréaliste eine erste Abbildung. Kahnweiler schilderte viele seiner Begegnungen, die Spaziergänge durch die Stadt mit Apollinaire, Max Jacob, Eric Satie, Braque oder die Sonntagnachmittage in seinem Landhaus in Boulogne, vor den Toren der Stadt. Léger, Gertrude Stein, Diaghilew, Klee oder Carl Einstein gingen dort ein und aus. Es waren Freunde, die in seiner Erinnerung präsent geblieben waren. Dabei war er keineswegs unkritisch. Mochte er auch von der Person und vom Werk Apollinaires fasziniert worden sein, so akzeptierte er keineswegs, wie er im Gespräch unterstrich, dessen richtiggehend fanatische und, wie er meinte, unkritische Lust am Allerneuesten. Seine Leidenschaft für die »surprise«, die seinen Umgang mit der Avantgarde in vielen Augen so erregend machte, war Kahnweiler suspekt. Er war für ihn ein getriebener »Überentdecker«, einer, der ständig das Urteil über Kunst durcheinanderbrachte und sich in der Schmeichelei der anderen sonnte. Denn insgeheim fürchtete Kahnweiler, er werde das, was für ihn nun bereits eine historische Gewissheit geworden war, den Kubismus, sehr schnell wieder dekonstruieren.
Wie stark die Freunde und Bekannten weiterhin mit und in Kahnweiler lebten, wurde deutlich, als ich vorschlug, aus Anlass des achtzigsten Geburtstags eine Festschrift
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