Mein Glueck
Erinnerung. Freunde Kahnweilers wie Otto Benesch, Marcel Jouhandeau oder Raymond Queneau gehörten dazu. Queneau sprach beim ersten Treffen in seinem Büro bei Gallimard in der Rue Sébastien Bottin bewundernd vom übernationalen Geist Kahnweilers und dessen phänomenaler Bildung. Patrick Waldberg, Adorno, Max Bense, Brassaï, Arnold Gehlen, Will Grohmann, Roland Penrose, Henri Rivière, Alfred Hentzen, Kurt Martin, John Rewald Georges Salles, Bernard Karpel, der »Weltbibliograph« des New Yorker Museum of Modern Art, oder Picassos Faktotum Sabartès, mit allen nahm ich nun Kontakt auf. Brassaï steuerte ein eindrucksvolles Porträt Kahnweilers bei. Michel Leiris lieferte den Beitrag »Les noirs Africains et le sentiment esthétique«, und Maurice Jardot schrieb über den kubistischen Bildraum bei Léger. Mein Vorwort stellte ich unter den Titel »Kahnweiler, der Augenzeuge«.
Marcel Jouhandeau lieferte mir für seinen Beitrag eine bemerkenswerte Begründung. Er habe sich von Gouachen Jean Piauberts, des, wie es damals hieß, Erfinders einer »Peinture métaphysique«, inspirieren lassen, und er gab dazu folgende Präzision: »Peu enclin à goûter l’abstrait, quand il est exclusif et de parti pris, j’ai été séduit sans la moindre hésitation par la beauté incontestable des nuances assemblées aussi heureusement et le thème de chaque image s’est inné en ce texte qui m’est venu naturellement au bout des doigts, à mesure que je les contemplais.« (»Dem Abstrakten wenig zugeneigt, wenn es einseitig und voreingenommen ist, war ich ohne das geringste Zögern verzaubert von der unbestreitbaren Schönheit dieser so gelungen aufeinander abgestimmten Nuancen. Und das Thema jedes Bildes liegt im Beginn meines Textes, der mir ganz natürlich von der Hand ging, je mehr ich die Bilder betrachtete.«) Jouhandeaus Begründung des Umgangs mit Abstraktion war sicherlich auch ein Mittel, um die Auseinandersetzung mit den ungegenständlichen Arbeiten, die nichts mit der Arbeit Kahnweilers zu tun hatten, zu entschuldigen. Viele spätere Beziehungen nahmen bei diesen Kontakten ihren Anfang. Arnold Gehlen sollte ich, sofort nachdem unsere Korrespondenz begonnen hatte, im Auftrag von François Bondy bitten, ob er nicht für dessen Zeitschrift Preuves , in der ich damals ab und zu schrieb, etwas zur Enquete »Peinture informelle« beisteuern wolle. Bondy hatte sich sofort auf fabelhafte und großzügige Weise um mich gekümmert. Das war ein Mann ohne jede Eifersucht, ein Mann, der anderen, Jüngeren behilflich war und Türen öffnete. Oft kam ich zu ihm und seiner Familie in der Rue du Docteur Blanche, wo er den siebten und achten Stock bewohnte. Bei ihm traf ich Gombrowicz und dessen Freund Kot Jelenski, der zusammen mit Bondy Preuves herausgab. Leonor Fini, Mary McCarthy, Pearl S. Buck oder der Chefankläger Gideon Hausner versammelten sich in diesem liberalen, aufgeschlossenen Salon. Ziemlich unbeachtet, auf den ersten Blick autistisch saß der kleine Sohn Luc in einem Nebenzimmer und starrte auf den Fernsehapparat. Offensichtlich speicherte er ungestört von der Umwelt alle Intonationen, Bewegungen, Stimmungen, die er in seinen großartigen Inszenierungen zu synthetisieren vermochte. Doch man konnte damals so gut wie kein Wort aus ihm herauslocken.
Die Einladung Bondys war für Gehlen Anlass, mir in einem Brief den tiefen Degout dem Gegenstandslosen gegenüber zum Ausdruck zu bringen: »Ich kann, kurz gesagt, Bilder der informellen Richtung nicht mehr sehen, ich habe ihren Reiz nur kurze Zeit empfunden, aber jetzt verspüre ich nichts mehr davon. Es ist genau wie mit Schlagermusik, es kommt der Moment, wo man nichts mehr damit zu tun haben will – so geht es mir mit dieser Richtung.« Dies entsprach haarscharf der Ansicht Kahnweilers, für den abstrakte Kunst nichts anderes als einen Beitrag zur Geschichte des Ornaments darstellte. Unermüdlich bezog er sich dabei auf die Realität, die bei Picasso noch in der stilisiertesten Arbeit zu finden war. Was er zu den Überzeugungen Picassos sagen konnte, hatte nichts Anekdotisches. Als die Rede über den Einfluss der afrikanischen Plastik auf Picasso kam, sah er diesen viel weniger im Stilistischen als in der Akzeptanz einer Realität, in der kein Detail fehlen durfte. Er meinte bei seinen Tischgesprächen, Picasso wolle nie etwas weglassen, und fuhr fort: »In einer afrikanischen Plastik, die einen Sitzenden auf einem Stuhl zeigt, entdeckt man das Geschlechtsteil unter
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